Heute wählt Österreich seinen neuen Bundespräsidenten – im vierten Anlauf. Die Stichwahl am 22. Mai war wegen Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Briefwahlstimmen vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden. Der Wiederholungstermin musste verschoben werden, da der Klebstoff der Briefwahl-Kuverts sich als schadhaft erwies.
Die Ausgangslage
Die beiden ehemaligen Großparteien haben sich beim Kampf um das höchste Amt im Staat – durch das Aufstellen falscher Kandidaten – selbst aus dem Rennen genommen. Die Hofburg war bisher eine rot-schwarze Erbpacht. Seit der ersten Direktwahl 1951 hatte die SPÖ fünfmal gewonnen (Körner, Schärf, Jonas, Kirchschläger, Fischer), die ÖVP zweimal (Waldheim, Klestil). Mit dem FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer und dem ehemaligen Grünen-Chef Alexander Van der Bellen stehen also zum ersten Mal zwei Vertreter von Oppositionsparteien zur Wahl.
Das internationale Umfeld.
Nach dem britischen Votum für das Verlassen der EU und nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten wird sich heute zeigen, ob Österreich dem internationalen Trend folgt oder nicht. Beim Brexit und der US-Wahl hat eine Mehrheit – wider Erwarten – dem herrschenden Mainstream eine Absage erteilt und für den Aufbruch zu neuen, unbekannten Gefilden votiert. Vor einer ähnlichen Zäsur steht am heutigen Tag Italien, das in einem Referendum über die Zukunft von Premier Renzi entscheidet.
Mehr Wähler, strengere Geheimhaltung
Zum einen ist die Zahl der Wahlberechtigten durch die Aktualisierung der Wählerevidenz gestiegen, zum anderen wurde erstmals eine Nachrichtensperre bis 17 Uhr verfügt. Außerdem dürfen Fotografen und Kameraleute nicht mehr ins Wahllokal, um Spitzenpolitiker bei der Stimmabgabe zu fotografieren. Auch der Wähler darf keinen Zaungast mehr mitnehmen.
Entscheidender Faktor: Mobilisierung
Wer bringt seine Sympathisanten und möglichst noch ein paar mehr dazu, noch einmal wählen zu gehen? Nach elf Monaten Dauerwahlkampf sind die Österreicher spürbar wahlmüde. Am 22. Mai, bei der Stichwahl, blieb bereits jeder Vierte zu Hause. Experten gehen diesmal davon aus, dass die Wahlbeteiligung noch weiter sinkt.
Die Grün-Blaue Repubik
Am 22. Mai war Österreich eine geteilte Republik. So war der Stadt-Land-Gegensatz augenscheinlich. Von den 20 größten Städten Österreichs votierten 16 für Van der Bellen, nur Villach, Wiener Neustadt, Leoben und Wolfsberg waren blau. Die grünste Großstadt war Graz (64,4 Prozent), gefolgt von Wien (63,3), Innsbruck (63,1), Linz (62,8) und Salzburg (58,8). Von den Bundesländern wählten vier (Wien, Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg) Van der Bellen, fünf Hofer. Nur 23 Prozent der Österreicher, die über Matura oder eine höhere Ausbildung verfügten, wählten Norbert Hofer. 38,4 Prozent ohne höhere Ausbildung wählten Van der Bellen. Frauen wählten zu 60 Prozent Van der Bellen, Männer zu 40 Prozent.
Was bedeutet die Wahl für die Regierung?
Die Folgen dieser Wahl für die Regierungskoalition sind schwer abzuschätzen. Gewinnt Hofer deutlich, könnte das Ende der Koalition in wenigen Wochen besiegelt sein. ÖVP und neuerdings auch SPÖ buhlen heftigst um die FPÖ, die Sozialdemokraten machen es heimlicher. Ein neuerlicher Triumph Van der Bellen würde der zerrütteten Koalition eine Verschnaufpause gönnen. Schon allein wegen der Landtagswahlen 2018 in Niederösterreich, Salzburg, Tirol ist der Koalition keine lange Lebensdauer beschieden.