Der UNO-Sicherheitsrat hat am Dienstag auf einer nicht öffentlichen Sitzung über die wiederholten russischen Anschuldigungen beraten, die Ukraine plane den Einsatz einer "schmutzigen Bombe". Russland sagte, es "bezweifle", dass Inspektionen der Internationalen Atomenergiebehörde beweisen könnten, dass dies nicht der Fall sei. Die Sitzung fand auf Initiative Russlands statt. Kiew und seine westlichen Verbündeten wiesen die Anschuldigungen erneut nachdrücklich zurück.

"Wir haben bei diesem privaten Treffen weder neue Beweise gesehen noch gehört", sagte der stellvertretende britische UNO-Botschafter James Kariuki nach der Sitzung und verurteilte die "Desinformation" Russlands. Die Ukraine habe "nichts zu verbergen", Inspektoren der IAEA seien auf dem Weg, fügte er hinzu.

IAEA besucht die betroffenen Einrichtungen

Der stellvertretende russische UNO-Botschafter Dmitri Poljanskij bekräftigte nach der Sitzung indes den russischen Vorwurf, dass die Verwendung einer "schmutzigen Bombe" eine "sehr ernste Gefahr" sei, "eine ernsthafte Bedrohung". Die Ukraine habe "die Fähigkeiten" und "die Gründe dafür, weil das Regime von (Wolodymyr) Selenskyj eine Niederlage vermeiden und die NATO in eine direkte Konfrontation mit Russland verwickeln" wolle, sagte er.

Poljanskij verwies auf zwei Einrichtungen in der Ukraine, die "nicht hoch entwickelte" Bomben herstellen könnten. Es sei "sehr schwierig, die Aktivitäten zur Herstellung dieser schmutzigen Bomben zu erkennen". Auf Antrag Kiews, das um die Entsendung von Experten gebeten hatte, hatte die IAEA am Montag einen Besuch der beiden betroffenen Einrichtungen "in den kommenden Tagen" bestätigt.

Bei einer "schmutzigen Bombe" handelt es sich um einen konventionellen Sprengkörper, der bei seiner Explosion radioaktives Material in der Umgebung verteilt. Im Unterschied zu Atombomben gibt es bei solchen Sprengkörpern keine nukleare Explosion.

Britische UNO-Vertretung: "Zur Erinnerung: Die Ukraine hat keine Atomwaffen"

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte entsprechende Vorwürfe gegen die Ukraine erstmals am Sonntag in Telefonaten mit seinen Kollegen aus den USA, Frankreich, Großbritannien und der Türkei erhoben. Schoigu sprach dabei von "möglichen Provokationen seitens der Ukraine durch den Einsatz einer 'schmutzigen Bombe'".

Washington, Paris und London wiesen die Vorwürfe als "durchsichtig falsche Behauptungen" Moskaus in einer gemeinsamen Erklärung zurück. "Zur Erinnerung: Die Ukraine hat keine Atomwaffen", schrieb die britische UNO-Vertretung im Onlinedienst Twitter vor der Sitzung des Sicherheitsrats.

Nach Einschätzung des Leiters der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, will der russische Präsident Wladimir Putin mit seinen Atom-Drohungen vor allem Einfluss auf Deutschland ausüben. "Mit der Atomwaffen-Drohung zielt er in erster Linie auf Deutschland", sagte Heusgen den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Putin versuche, mit dieser Drohung Ängste zu schüren und die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen. "Wir sind zurück in der Logik des Kalten Krieges."

"Katastrophale Konsequenzen" bei Einsatz von Atomwaffen

Die Amerikaner hätten Moskau klar zu verstehen gegeben, dass der Einsatz von Atomwaffen katastrophale Konsequenzen für Russland hätte, sagte Heusgen. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es selbstmörderische russische Generäle gibt, die eine solche Anordnung umsetzen würden." Außerdem wolle sich der Kremlchef nicht in eine weltweite Isolation begeben. Auch China könne den Einsatz von Atomwaffen nicht durchgehen lassen. Der Kreml hat in Verbindung mit dem Angriffskrieg in der Ukraine wiederholt indirekt auch mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht.

Zur Frage einer möglichen NATO-Mitgliedschaft der Ukraine sagte Heusgen, dass die frühere deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Gipfel 2008 ihr Veto eingelegt habe. Die Situation habe sich durch Putins Völkerrechtsbruch geändert, sagte Heusgen, der viele Jahre lang Merkels außenpolitischer Berater war. "Wir müssen uns überlegen, welche Garantien wir der Ukraine geben können." Er wolle dem nicht vorgreifen. "Aber ich finde, wir sollten eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine jetzt nicht mehr ausschließen", sagte Heusgen den Zeitungen.