Der zehnte Tag des Krieges neigt sich dem Ende zu. Eigentlich habe ich schon aufgehört, die Tage zu zählen, ich weiß kaum noch, welchen Wochentag wir haben. Zum Glück war dieser Tag und der vorherige etwas ruhiger als sonst. Wir verbrachten sogar die meiste Zeit in unserer Wohnung und nicht im Schutzraum. Und wenn wir die nahen Explosionen hörten, rannten wir nur selten die Treppe hinunter, sondern bloß in den Gemeinschaftsflur unseres Hauses. Die Wände dieses Gebäudes sind ziemlich dick, und wir fühlen uns auf eine Art geschützt. Wir erinnern uns jedoch immer an die „Zwei-Wände-Regel“, die heutzutage alle Ukrainer im Schlaf können. Sie besagt, dass man mindestens zwei Wände zwischen sich und der Rakete haben muss, wenn das Haus getroffen wird.

In der Nacht des neunten Tages beschlossen wir, zu Hause zu bleiben und in unseren Betten zu schlafen, aber um 2 Uhr nachts wurden wir von sehr lauten Explosionen geweckt. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich meine Schuhe angezogen habe, meine Sachen genommen habe und in den Schutzraum gerannt bin, ich weiß nur, dass ich dort sofort wieder eingeschlafen bin. In diesen Nächten habe ich keine Träume, weder gute Träume noch Albträume.

Ich vermisse die Stille, und zwar diese tiefe Ruhe, bei der man nicht erwartet, dass etwas Schreckliches geschieht. Hier trauen wir der Stille nicht mehr. Kaum hören wir dann Explosionen, fragen wir uns sofort, ob alles in Ordnung ist oder eben nicht. Ich höre die Geräusche der Explosionen und die Geräusche eines herannahenden Kampfflugzeugs in jedem anderen Geräusch, in einer eingeschalteten Klimaanlage, im Wasser, das aus dem Hahn fließt, in den Geräuschen unserer Nachbarn, die wir in den Fluren oder auf dem Hof hören. Manchmal hört sich mein eigenes Blut, das in meinem Kopf pulsiert, wie ein entferntes Bombardement an.