Die Stadt Sudscha in der russischen Grenzregion Kursk ist nach den Worten des ukrainischen Armeechefs Olexander Syrskyj vollständig unter ukrainischer Kontrolle. „Die Suche und Vernichtung des Feindes in der Ortschaft Sudscha ist abgeschlossen“, sagte er am Mittwoch in einer Videokonferenz mit Präsident Wolodymyr Selenskyj. Aufnahmen davon wurden auf dem Telegram-Kanal des Präsidenten veröffentlicht.

Zuvor hatte das ukrainische Fernsehen Bilder von drei Soldaten gezeigt, die in Sudscha die russische Flagge von einem öffentlichen Gebäude rissen und „Ruhm der Ukraine“ riefen. In Sudscha verläuft die Pipeline, durch die Russland Gas aus Westsibirien via Ukraine in die Slowakei und andere EU-Länder liefert. Österreich ist von diesem Transportweg in besonderem Maße abhängig.

Ukraine macht weiter Druck

Die Ukraine bereitete indes die Einrichtung einer „Sicherheitszone“ in der Region Kursk vor. Damit wolle das Land humanitäre Hilfe und einen Fluchtkorridor für Zivilisten errichten, die entweder nach Russland oder in die Ukraine gelangen möchten, schrieb Vize-Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk auf dem Kurznachrichtendienst Telegram. Zudem solle humanitären Organisationen der Zugang zu dem Gebiet ermöglicht werden.

Selenskyj erklärte, dass die ukrainische Armee auch am Mittwoch weiter vorrückte. Seit Tagesbeginn sei man in verschiedenen Gebieten um ein bis zwei Kilometer vorgestoßen, so Selenskyj. Auch seien hundert weitere russische Soldaten gefangen genommen worden. Zuvor hatte es von der ukrainischen Armee auch geheißen, dass in Kursk ein Kampfflugzeug des Typs Su-34 zerstört worden sei. Das russische Militär erklärte hingegen zu Mittag, seine Einheiten hätten unterstützt von der Luftwaffe, von Drohnen und von Artillerie „die Versuche mobiler feindlicher Gruppen vereitelt, mit gepanzerten Fahrzeugen tief auf russisches Territorium vorzudringen“. In der Erklärung der Armee hieß es weiter, den Ukrainern seien schwere Verluste zugefügt worden.

Bodenoffensive der Ukraine

Die Ukraine griff zudem Woronesch an, das weiter südlich an der gemeinsamen Staatsgrenze liegt. In der Nacht auf Mittwoch seien insgesamt 117 ukrainische Drohnen und vier Raketen abgefangen worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Jeweils 37 Drohnen seien über Kursk und Woronesch zerstört worden. Wie viele Geschosse die ukrainischen Streitkräfte abgefeuert haben, ließ das Ministerium offen.

In der zwischen Kursk und Woronesch gelegenen Region Belgorod verhängte Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow den Ausnahmezustand. „Die Lage in der Oblast Belgorod ist weiterhin äußerst schwierig und angespannt“, teilte er auf Telgram mit. Gladkow begründete den Ausnahmezustand mit anhaltenden Angriffen der ukrainischen Streitkräfte. Beim täglichen Beschuss seien Häuser zerstört worden, Zivilisten seien getötet oder verletzt worden. An die Zentralregierung in Moskau richtete Gladkow den Appell, „einen föderalen Notstand auszurufen“.

USA sei nicht am Vormarsch beteiligt

Infolge der überraschenden Bodenoffensive wurden fast 200.000 Menschen im russischen Grenzgebiet evakuiert. Die Ukraine gab am Dienstag die Kontrolle von 74 Ortschaften und mehr als 1.000 Quadratkilometern in Kursk bekannt. Russland reagierte mit der Verlegung von Truppen aus seiner an der Ostsee gelegenen Exklave Kaliningrad nach Kursk, wie der litauische Verteidigungsminister Laurynas Kasciunas in einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sagte.

Nach Angaben des geschäftsführenden Gouverneurs der Region Kursk, Alexej Smirnow, sind 28 Orte unter Kontrolle des Gegners. Das ukrainische Projekt DeepState geht von etwa 44 russischen Ortschaften unter Kontrolle Kiews aus. Bei einem Gespräch mit Kremlchef Wladimir Putin hatte Smirnow am Montag erklärt, dass die ukrainischen Streitkräfte auf einer Breite von 40 Kilometern entlang der Grenze bis zu 12 Kilometer tief in das Kursker Gebiet vorgedrungen seien. Ukrainische Quellen sprachen von etwa 30 Kilometern Tiefe. Nach offiziellen Angaben gab es bisher zwölf Tote unter Zivilisten. Mehr als 120 Menschen seien verletzt worden.

Die russische Nationalgarde Rosgwardija verstärkte die Bewachung des Atomkraftwerkes Kursk. Besonderes Augenmerk gelte der Abwehr ukrainischer Drohnen, teilte sie mit. Das AKW liegt gut 30 Kilometer westlich der Stadt Kursk und wird vom Staatskonzern Rosenergoatom betrieben.

Selenskyj begründete die Offensive unter anderem damit, den Druck auf Russland in Richtung Friedensgesprächen zu erhöhen. Russland erteilte solchen Gesprächen eine Absage. Mit ihrem Angriff auf die Region Kursk habe die ukrainische Seite Friedensgespräche „auf lange Sicht auf Eis gelegt“, sagte der Sondergesandte des russischen Außenministeriums, Rodion Miroschnik, der staatlichen Nachrichtenagentur Tass am Mittwoch. Kiew will die eroberten Flächen bei den Verhandlungen als Faustpfand nutzen. Das Außenministerium in Kiew hatte betont, dass die ukrainische Seite anders als Russland kein fremdes Gebiet annektiere.