Herr Lüders, das konservative "Wallstreet Journal" vom 2. 8. sieht Israel, falls der Krieg so weiter geht, "vor der größten militärischen Demütigung seiner Geschichte". Kriege, schreibt das Blatt, werden entweder militärisch oder politisch gewonnen. Israel verliere in beide Richtungen. Ist diese Einschätzung korrekt?
MICHAEL LÜDERS: Ich glaube schon. Es ist bislang noch keiner hoch gerüsteten Armee gelungen, eine Guerillabewegung zu besiegen. Und wenn man sich vor Augen führt, dass Israel 1967 sechs Tage brauchte, um drei arabische Armeen zu besiegen und es heute – nach fast vier Wochen Krieg – noch immer nicht gelungen ist, die Hisbollah in die Knie zu zwingen, kann man sich vorstellen, dass dieses Ergebnis für Israels Armee ein Desaster sein muss.

Kann mit Hilfe einer internationalen Schutztruppe die israelische Nordgrenze gesichert und die Hisbollah entwaffnet werden?
LÜDERS: Es wird nicht möglich sein, die Hisbollah mit militärischem Druck in die Knie zu zwingen. Im Gegenteil: Nach diesem Krieg wird Hisbollah zum stärksten innenpolitischen Akteur aufsteigen. Und wenn Hisbollah oder die libanesische Regierung eine internationale Friedenstruppe für den Süd-Libanon nicht anerkennt, dann ist keine Friedenstruppe gut beraten, sich dort zu positionieren. Das Problem des Süd-Libanon und der Hisbollah ist nur im Gesamtkontext des Libanon zu lösen. Es wird darum gehen, die Hisbollah in staatliche Strukturen einzubinden und die Macht der Schiiten proportional zum Bevölkerungsanteil im libanesischen Parlament zu stärken.

Eine Stärkung der Schiiten im Parlament könnten andere Konfessionen nicht hinnehmen. Wächst damit nicht die Gefahr eines Bürgerkrieges?
LÜDERS: Diese Gefahr besteht nicht aktuell. Aber man darf nicht vergessen, dass die Rückkehr der aus dem Süd-Libanon Vertriebenen – fast eine Million Menschen – ein bis zwei Jahre dauern wird. Inzwischen können diese Menschen eigentlich nur nach Norden gehen, in die Wohngebiete der anderen Bevölkerungsgruppen, der Drusen oder Christen. Das kann kurz- oder mittelfristig zu großen Spannungen führen.

Wie wird der Nahe Osten nach diesem Krieg aussehen? Condoleezza Rice bezeichnete ja das Bombardement im Libanon als die "Geburtswehen eines neuen Nahen Ostens"?
LÜDERS: Sicherlich nicht so, wie sich Washington dies idealerweise vorstellt: Schon im Irak hat sich gezeigt, dass die Vorstellung, dort eine Demokratie militärisch herbeizuführen, gescheitert ist. Die große Sorge, die ich habe, ist, dass nicht-staatliche Akteure wie die Hisbollah zunehmend Einfluss nehmen werden in der Region und damit die schwachen Regime in der arabischen Welt unter Druck setzen. Wenn das Beispiel Hisbollah Schule macht, dann wäre es nicht auszuschließen, dass auch in prowestlichen Ländern wie Ägypten oder Saudi-Arabien lokale Gruppierungen anfangen, nach Guerillataktik Kriege gegen ihre Regierungen zu führen mit dem Ziel, die dortigen Diktaturen abzulösen.

Ist dieser gefährliche Trend noch zu stoppen?
LÜDERS: Ja. Der Westen wäre gut beraten, die Sponsoren der Hisbollah, also Syrien und Iran, einzubeziehen in aktive politische Verhandlungen. Anzeichen dafür gibt es leider nicht, weil Washington und Jerusalem strikt gegen solche Kontakte sind.

Warum wehrt sich Washington so hartnäckig gegen Gespräche mit Teheran?
LÜDERS: Der Iran ist aus US-amerikanischer Sicht ein Schurkenstaat, der wegen seiner Atompolitik politisch isoliert werden soll. Tatsächlich ist der Iran aber schon jetzt eine bedeutende Mittelmacht in der Region. Insofern wäre Washington gut beraten, den Iran als Akteur einzubeziehen in nahöstliche Machtpolitik. Geschieht das nicht, wird es Dauerkonflikte geben mit der Islamischen Republik, die ihrerseits viele Möglichkeiten hat, auf staatliche und nicht-staatliche Akteure in der arabischen Welt Einfluss zu nehmen.