In der wegen der zahlreichen jüdischen Bewohner "Klein-Jerusalem" genannten Vorstadt gab es am Sonntag bei einer verbotenen propalästinensischen Demonstration schwere Krawalle, Israel-feindliche Parolen wurden gerufen. Die Regierung verurteilte "antisemitische Ausschreitungen" und kündigte unnachgiebige Härte an. Sie fürchtet ein Übergreifen der Gewalt des Nahost-Konflikts auf Frankreich - und hat dabei selbst Öl ins Feuer gegossen.

In ganz Europa gingen am Wochenende Menschen auf die Straße, um gegen die Gaza-Offensive Israels zu protestieren. Aber nur in Frankreich arteten die Proteste in Gewalt aus: Erst lieferten sich am Samstag Randalierer im Pariser Stadtteil Barbes, wo zahlreiche Muslime leben, stundenlange Straßenschlachten mit der Polizei. Am Sonntag explodierte die Lage in Sarcelles im Norden von Paris.

Erste Zusammenstöße vor einer Woche

Bereits vor einer Woche hatte es in Paris Zusammenstöße zwischen propalästinensischen Demonstranten, Mitgliedern der jüdischen Gemeinde und der Polizei gegeben. Frankreichs Staatschef Francois Hollande mahnte, der Nahost-Konflikt dürfe nicht nach Frankreich "eingeschleppt" werden. Am Montag dann warnte die angesehene Tageszeitung "Le Monde" auf ihrer Titelseite vor einer "Ansteckung" Frankreichs. Die jüdische Gemeinde fürchtet eine neue Welle antisemitischer Gewalttaten.

"Der Konflikt weckt in Frankreich viel mehr Emotionen, Gegensätze, Stigmatisierungen als anderswo", sagt der Leiter des französischen Instituts für Internationale und Strategische Beziehungen (IRIS), Pascal Boniface. "Wer die Politik Israels kritisiert, dem wird Antisemitismus vorgeworfen. Wer nicht die Palästinenser unterstützt, dem wird Islamfeindlichkeit zur Last gelegt."

Großer Widerhall in Frankreich

Dass der Nahost-Konflikt in Frankreich besonders großen Widerhall findet, liegt schon allein an der Bevölkerungsstruktur: In Frankreich lebt die größte muslimische Gemeinde Europas - Schätzungen zufolge fünf Millionen Menschen - und die mit etwa 500.000 Mitgliedern größte jüdische Gemeinde Westeuropas.

In Frankreich stammen zudem besonders viele Muslime aus arabischen Ländern, vor allem aus den nordafrikanischen Maghreb-Staaten, wie der Soziologe Marc Hecker betont. "Sie sind für die Sache der Palästinenser viel empfänglicher als in anderen Ländern Europas, wo die muslimische Gemeinschaft teilweise aus Ländern außerhalb der arabischen Welt stammt."

Für den Soziologen Michel Wieviorka ist Frankreich in Europa das Land mit den "stärksten wirklichen, symbolischen, historischen, aber auch eingebildeten Verbindungen" zum Nahen Osten. Zugleich sieht er die Ausschreitungen aber viel mehr als Folge "innerer Probleme der französischen Gesellschaft" als der Vorgänge im Nahen Osten.

Frankreichs Vororte

Denn in Frankreichs Vorstädten ist eine Generation von Einwanderer-Kindern herangewachsen, die kaum Chancen auf einen Job haben und für sich keinen Platz in der französischen Gesellschaft sehen. Der Frust entlädt sich immer wieder in Gewalt - Demonstrationen sind dabei ebenso ein Anlass wie Silvester oder zuletzt die Freudenfeiern nach Siegen der algerischen Nationalmannschaft bei der Fußball-WM in Brasilien.

Diese Jugendlichen könnten sich besonders gut mit den Palästinensern identifizieren, sagt Wieviorka: Sie sähen sich als Opfer des früheren Kolonialismus, fühlten sich in Frankreich ausgegrenzt und diskriminiert - und zögen Parallelen zur Lage der Palästinenser im von Israel abgeschotteten Gazastreifen.

Den Zorn dürfte weiter angeheizt haben, dass Staatschef Hollande Israel nach der erneuten Eskalation des Nahost-Konflikts seine "Solidarität" aussprach, ohne die zivilen Opfer der israelischen Angriffe im Gazastreifen zu erwähnen. Und womöglich griffen die Behörden dann zum falschen Mittel, als sie die Demonstrationen am Wochenende in Paris und Sarcelles aus Sorge vor Ausschreitungen verboten: Andere Protestkundgebungen in Frankreich wurden erlaubt - dort blieb es friedlich.