Der Showdown kam überraschend am Ende des Fastenmonats Ramadan. Normalerweise kocht da das politische Leben in Ägypten auf Sparflamme. Doch mit der Entlassung des letzten wichtigen Getreuen von Ex-Präsident Hosni Mubarak, des Feldmarschalls Mohammed Hussein Tantawi, und mit der Umbildung der Militärführung holte der islamistische Präsident Mohammed Mursi zum großen Befreiungsschlag aus. Auch erklärte Nicht-Islamisten applaudierten. "Ein Schritt in die richtige Richtung", twitterte der liberale Mubarak-Dissident Mohammed ElBaradei.

Ernüchterung nach "Arabischen Frühling"

Der Machtkampf tobte in Kairo seit Monaten, oft hinter den Kulissen. Nach dem Sturz Mubaraks im Februar 2011 hatte das Militär die Macht übernommen. Es bot sich als "Garant für den geordneten Übergang zur Demokratie" an. Doch die Jugend- und Protestbewegung, die den Langzeitherrscher Mubarak vom Sockel stieß, war bald enttäuscht. Die Militärherrschaft garantierte vor allem den Fortbestand der alten Seilschaften des Mubarak-Regimes. Zusammenstöße mit dem Militär häuften sich. Die Revolution schien zu versanden.

Verbündeter im Militär: al-Sisi

Deren Nutznießer war ohnehin die islamistische Muslimbruderschaft. Sie hatte wenig Anteil am Mubarak-Sturz, war aber danach als wohlorganisierte Kaderorganisation mit einer im Trend liegenden Ideologie zur Stelle. Bei den ersten freien Wahlen wurde sie zur stärksten Kraft und machte Mursi zum ersten zivilen Präsidenten in der Geschichte des Landes. Die Militärs glaubten nun, die Nation vor der Gefahr des Islamismus bewahren zu müssen.

Sie lösten das von den Muslimbrüdern dominierte Parlament auf und entzogen dem gewählten Mursi die präsidialen Vollmachten. Der Machtkampf war voll entbrannt. Doch Mursi führte ihn intelligenter und geschickter, als es ihm viele zutrauten. Er rief nicht die Massen der Muslimbrüder gegen die Armee auf die Straße - dies hätte in einem Blutbad und einer Militärdiktatur geendet. Sondern er suchte nach Verbündeten innerhalb der Armeeführung.

So dürfte der Machtkampf bereits entschieden gewesen sein, als Mursi am Sonntag seine kühnen Entscheidungen verkünden ließ. In dem bisherigen Militärgeheimdienstchef Abdel Fattah al-Sisi fand er einen Tantawi-Ersatz, der ihm seine Loyalität versicherte. Die Sache sei mit Sisi abgesprochen gewesen, nicht aber mit Tantawi und dem ebenfalls pensionierten Generalstabschef Sami Enan, meint der Politologe Amr el-Shobaki vom Al-Ahram-Zentrum.

Wer ist al-Sisi?

Über den neuen ägyptischen Militärchef und Verteidigungsminister al-Sisi liegen nur wenige Informationen vor. Das passt auch zu seiner bisherigen Funktion: Denn der 57-jährige Generaloberst leitete seit dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak im Februar 2011 den Militärgeheimdienst. Außerdem gehört er dem Oberkommando der Streitkräfte an, das unter dem Namen Oberster Militärrat nach dem Abgang Mubaraks die Macht übernahm.

Für die Wahl des Islamisten Mohammed Mursi zum Staatspräsidenten ausschlaggebend war, wie ägyptische Medien mutmaßen, dass Sisi bereit war, in sein Lager zu wechseln. Der bisherige Geheimdienstchef des Militärs gilt als fromm, soll aber kein Mitglied der Muslimbruderschaft sein, aus der Mursi kommt. Vor allem aber kennt er aus seiner bisherigen Arbeit die Akten aller Kameraden, auch jener, die dem zivilen Präsidenten gefährlich werden könnten.

Sisi gehört bereits jener Generation von Stabsoffizieren an, die anders als Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi oder der ehemalige Luftwaffenpilot Mubarak an keinem der Kriege aktiv teilnahmen, in die Ägypten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstrickt war. Er besuchte die Militärakademie und trat in die Dienste der Infanterie. Noch unter Mubarak wurde er Kommandant des Armeebereichs Nord mit Sitz in Alexandria auf.

Armeechef verteidigt Massenvergewaltigungen

In seiner Funktion nach dem Umsturz trat Sisi nur ein einziges Mal hervor, und das in unrühmlicher Weise, wie sich ägyptische Medien nun erinnern. Als im März 2011 Militärpolizisten jugendliche Demonstranten vom Tahrir-Platz in den Keller des Ägyptischen Museums verschleppten und dort misshandelten, unterzogen sie die Mädchen und jungen Frauen unter ihnen einer besonders grausamen und erniedrigenden Behandlung - den sogenannten Jungfräulichkeitstests.

Es war General Sisi, der diese Praxis ein paar Wochen später gegenüber westlichen Medien begründen wollte. Die Frauen hätten zusammen mit jungen Männern auf dem Tahrir-Platz campiert, und damit sie nicht nachher sagen würden, sie seien von den Militärpolizisten vergewaltigt worden, hätte man eben ihre "Jungfräulichkeit" geprüft, behauptete er zynisch.

Herrschaftszonen werden neu aufgeteilt

Die anderen Generäle fanden sich mit der "zweiten Revolution" - Mursis Entmachtung der Militärspitze - ab, wie einige Kommentatoren in Kairo die dramatische Entwicklung bezeichneten. Am Montag rollten keine Panzer durch Kairo, keine Putschgerüchte machten die Runde. Die Absprachen dürften wohl die Machtbereiche neu abgegrenzt haben. Mursi ist jetzt in vollem Umfang für die zivile Politik zuständig. Das Militär dürfte die Kontrolle über sein eigenes, intransparentes Wirtschaftsimperium behalten. Dieses bildet einen abgeschirmten Staat im Staate, zu dem selbst Fabriken gehören, die Staubsauger und Waschpulver herstellen.

Der Politologe Shobaki gibt zu bedenken, dass Mursis Schachzug auch dazu dienen könnte, dass "die Muslimbruderschaft die Kontrolle über die staatlichen Institutionen übernimmt". ElBaradei warnte Mursi, den Bogen nicht zu überspannen. So viel Macht in der Hand eines Mannes widerspreche dem "Kern der Demokratie". Mursi müsse die Interessen der gesamten Gesellschaft vertreten und nicht die der Islamisten-Bewegung, aus der er kommt, sagen die liberalen Unterstützer des Wechsels.

Mursi wählte den Zeitpunkt seines Befreiungsschlages auch mit Bedacht auf den islamischen Kalender. In diese Tage des Ramadan fallen die sogenannten "Nächte der Offenbarung", in denen der Prophet Mohammed die ersten Suren des Koran empfangen haben soll. Die Muslimbruderschaft verfolgt eine Agenda der Islamisierung der Gesellschaft, die langfristig angelegt ist. Nach dem neuen Arrangement mit dem Militär ist dabei möglicherweise eine Wegmarke erreicht worden.