56,4 Prozent der Wähler der deutschen Hauptstadt stimmten am Sonntag in einer Volksentscheidung dafür, 39,0 Prozent lehnten das Vorhaben ab, wie die Landeswahlleitung mitteilte. Gleichzeitig wurde das nötige Mindestquorum für die Zustimmung von einem Viertel der Wahlberechtigten erreicht.

Damit ist der Berliner Senat laut Beschlusstext nun aufgefordert, "alle Maßnahmen einzuleiten", die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind, und dazu ein Gesetz zu erarbeiten. Allerdings ist das Votum für die Politik rechtlich nicht bindend. Denn abgestimmt wurde nicht über einen konkreten Gesetzesentwurf, der durch einen erfolgreichen Volksentscheid direkt beschlossen wäre. Dennoch werden sich der neue Senat und das am Sonntag neu gewählte Abgeordnetenhaus mit dem Votum auseinandersetzen müssen.

Volksentscheidung sei zu respektieren

Die Berliner SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey kündigte am Montag an, die Volksentscheidung zu respektieren. "Es muss jetzt auch die Erarbeitung eines solchen Gesetzentwurfes erfolgen", sagte sie im RBB-Inforadio. "Aber dieser Entwurf muss dann eben auch verfassungsrechtlich geprüft werden." Der künftige Senat müsse sehr genau schauen, was verfassungsrechtlich möglich sei. Berlin dürfe sich kein weiteres negatives Urteil beim Bundesverfassungsgericht holen, warnte Giffey. Das höchste deutsche Gericht hatte zuletzt den Berliner Mietendeckel gekippt.

Die Berliner Landesregierung muss nach Ansicht der Grünen das Ergebnis der Volksabstimmung ernst nehmen. "Das gehört in Koalitionsverhandlungen", sagte Spitzenkandidatin Bettina Jarasch am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Die Politik müsse prüfen, ob eine Umsetzung des Bürgervotums machbar sei. "Es gibt für ein solches Gesetz aber noch viele rechtliche und praktische Fragen zu klären."

Konkret geht es bei dem in Deutschland bisher einmaligen Vorhaben um Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin, soweit sie eine "Gewinnerzielungsabsicht" verfolgen. Diese sollen vergesellschaftet, also gegen Entschädigung enteignet und in eine Anstalt öffentlichen Rechts überführt werden. Betroffen wären rund 240.000 Wohnungen, etwa 15 Prozent des Berliner Bestands an Mietwohnungen - ein milliardenschweres und rechtlich umstrittenes Unterfangen.

Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" kündigte an, die kommenden Koalitionsverhandlungen intensiv zu begleiten: "Wir akzeptieren weder Hinhaltestrategien noch Abfangversuche. Wir kennen alle Tricks", erklärte Kalle Kunkel, ein Sprecher der Initiative. "Wir lassen nicht locker, bis die Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen umgesetzt ist."

Vonovia-Vorstandschef Rolf Buch warnte am Montag vor einer Hängepartie angesichts der vielen offenen Rechtsfragen. "Eine verantwortungsvolle Politik hat auch nach dem Entscheid die Möglichkeit, gemeinsam mit allen Akteuren des Berliner Wohnungsmarktes konstruktivere Lösungen zu erarbeiten, die dennoch die Sorgen vieler Berlinerinnen und Berliner aufgreifen, sich ihre Wohnung in Zukunft nicht mehr leisten zu können", teilte er am Montag mit. Der Immobilienverband Deutschland war zudem der Auffassung, dass die Ziele des Volksentscheids nicht verfassungskonform in ein Gesetz gegossen werden könnten. "Schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und des Gleichheitsgrundsatzes lässt sich ein Enteignungsgesetz nicht verfassungsfest aufstellen", teilte der Verband am Montag mit.

In Berlin ist das Niveau vor allem der Angebotsmieten in den letzten Jahren stark gestiegen. Selbst Normalverdiener haben es in etlichen Stadtteilen schwer, eine bezahlbare Bleibe zu finden. Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" glaubt, mit Hilfe einer Vergesellschaftung von Wohnungen den Anstieg der Mieten stoppen und langfristig bezahlbare Mieten sichern zu können. Sie beruft sich dabei auf Artikel 15 des Grundgesetzes. Dort heißt es: "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden."

Ob der Berliner Senat nun ein solches Gesetz erarbeitet, ist offen und hängt nicht zuletzt von der politischen Zusammensetzung der neuen Landesregierung ab. SPD, CDU, AfD und FDP sind - wie die Wirtschaft - gegen Enteignungen. Die Linke ist ohne Wenn und Aber dafür, die Grünen halten einen solchen Schritt "als letztes Mittel" für möglich.

Das wäre Neuland

Berlin würde damit komplettes Neuland betreten. Allein die Entschädigungskosten würden sich laut Prognosen des Senats auf 29 bis 36 Milliarden Euro belaufen. Die Enteignungsinitiative rechnet mit 7,3 bis 13,7 Milliarden Euro. Sie will die Immobilienunternehmen nicht mit Geld, sondern mit Schuldverschreibungen entschädigen, die dann über einen Zeitraum von 40 Jahren aus den Mieteinnahmen getilgt werden.

Rechtliche Prüfungen einer Vergesellschaftung werden kompliziert, schon jetzt gibt es Gutachten pro und kontra. In jedem Fall dürfte ein solches Vorhaben von dem Bundesverfassungsgericht landen. Dort war Berlin zuletzt im April mit dem Mietendeckel gescheitert, also staatlich verordneten Obergrenzen für Mieten.

Unterdessen wurde eine Großtransaktion am Berliner Wohnungsmarkt bekannt. Die Heimstaden-Gruppe übernimmt 14.000 Wohnungen vom Immobilienunternehmen Akelius, wie beide Seiten am Sonntagabend mitteilten. Weitere 3.600 Wohnungen kauft Heimstaden Akelius in Hamburg ab. Heimstaden steigt damit zu den größeren privaten Vermietern in der deutschen Hauptstadt auf. Bisher besaß das Unternehmen gut 5.000 Wohnungen in Berlin. Die konkrete Übernahme der Wohnungen sei Ende dieses Jahres geplant, dabei fließe die volle Grunderwerbsteuer. Ein Kaufpreis wurde nicht genannt.