Rund 350 Leute, sieben Flugzeuge, neun Schiffe – das ist das Aufgebot der Grenzschutzagentur Frontex, und es reicht bei Weitem nicht aus. Ohne private Seenotretter wäre der Zustrom von Asylwerbern über das Mittelmeer längst nicht mehr zu bändigen. Letzten Sonntag trafen im Hafen der süditalienischen Stadt Brindisi 168 Migranten ein, die vom Schiff „Geo Barents“ der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ (Msf) vor der libyschen Küste gerettet wurden. An Bord befanden sich 110 unbegleitete Minderjährige. Sie kommen aus Senegal, Nigeria, Burkina Faso, Guinea-Bissau, Nordsudan, Mali, der Elfenbeinküste, Guinea und Kamerun. Wenig später legte das deutsche NGO-Schiff „Humanity 1“ mit 57 Flüchtlingen an Bord in Livorno an.

Besonders extrem ist die Lage einmal mehr auf der süditalienischen Insel Lampedusa, wo sich im Lager derzeit mehr als 4000 Menschen aufhalten – es ist für 400 konzipiert. Die Zahl der Ankünfte in Italien ist zum Teil höher als zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise in den Jahren 2015/2016. Man rechnet damit, dass heuer die Schwelle von 200.000 Neuankömmlingen überschritten wird.

Meloni kann ihre Versprechen nicht halten

Das bringt die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni unter Druck. Sie und der frühere Innen- und jetzige Verkehrsminister Matteo Salvini (Lega) hatten ihren Wählern versprochen, das Problem zu lösen; Anfang des Sommers sah es für einen Augenblick so aus, als wäre man einen wesentlichen Schritt weitergekommen, als „die EU“ in Person von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, begleitet vom niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte und Meloni in Tunis mit dem tunesischen Präsidenten Kaïs Saïed mit viel Tamtam einen Deal schloss. Kurz zusammengefasst: Tunesien macht die Küsten dicht und lässt viel weniger Menschen den gefährlichen Weg über das Meer beginnen, im Gegenzug kommt Brüssel mit dem Geldkoffer: 150 Millionen Euro wurden als Budgethilfe in Aussicht gestellt, bis zu 900 Millionen an Finanzhilfen. Italien legte eine 110-Millionen-Euro-Kreditlinie für Klein- und Mittelbetriebe drauf.

Doch Kaïs Saïed schloss von Anfang an aus, dass sein Land zur Grenzpolizei von Europa werde. „Wir können keine Rolle erfüllen, in der wir ihre Länder bewachen.“ Dazu kamen Zweifel an der Form des Pakts – müsste da nicht auch der Rat ein Wort mitreden oder das Parlament? Und hätte man nicht auch die Ziele viel konkreter definieren müssen?

Das Thema Migration beherrscht mittlerweile jeden EU-Gipfel und wird auch im Mittelpunkt der EU-Wahlen nächstes Jahr stehen. EVP-Präsident Manfred Weber reiste ebenfalls nach Tunesien und sprach mit Saïed, dabei sei es auch um die Menschenrechtsverletzungen und den mitunter schrecklichen Umgang mit Flüchtlingen in Tunesien gegangen. Es gebe, so sagte er dem Portal „Politico“, drei Welten beim Thema der Migration: „Die Rechten nutzen es, um den Leuten Angst zu machen, die Moralisten sagen, wir sollen nicht mit Drittländern verhandeln.“ Entscheidend sei jedenfalls der dritte Weg, nämlich gemeinsam mit Nordafrika an Lösungen zu arbeiten.

107.530 Menschen sind seit Anfang des Jahres bereits über den Seeweg in Italien eingetroffen. Im Vergleichszeitraum 2022 waren es noch 52.954 gewesen.