Nach der Verabschiedung eines Kernelements der umstrittenen Justizreform haben in Israel wieder Zehntausende Menschen demonstriert. Bei einem Protestzug in einem Ort nördlich von Tel Aviv raste am Montagabend ein Auto in eine Menschenmenge und verletzte drei Demonstranten. Die Polizei nahm den Fahrer, dessen Motiv am Abend zunächst unklar war, später fest. Die Demonstranten hatten eine Fahrbahn blockiert.

Opposition boykottierte Abstimmung

Überall im Land störten Menschen den Verkehr. In Tel Aviv marschierten am Abend Tausende stundenlang auf einer zentralen Autobahn. Medienberichten zufolge wurden landesweit am Montag mindestens 34 Demonstranten festgenommen, einige gewaltsam. Mehrere Menschen seien zudem unter anderem durch den Einsatz von Wasserwerfern verletzt worden. Die Protestbewegung hatte zuvor angekündigt, ihren Protest "bis zum Ende" weiterzuführen.

Mittlerweile kocht die Stimmung im Land zunehmend hoch. Das liegt auch an der Struktur der Bevölkerung. Israel ist in den vergangenen Jahrzehnten nach rechts gerückt. Nach Angaben des Israel Democracy Institute (IDI) bezeichnen sich heute etwa 62 Prozent der jüdischen Israelis als rechts, vor allem unter den 18- bis 34-Jährigen sei die Zahl hoch.

Ein Grund dafür ist die Demografie: Die ultraorthodoxe Gemeinschaft ist aufgrund ihres Kinderreichtums die am schnellsten wachsende Gruppe im Land. Derzeit stellen sie rund 13 Prozent der Einwohner, bis 2065 könnten sie laut Schätzungen des Zentralen Statistikbüros ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Die zunehmende Spaltung beunruhigt viele Israeli. Umfragen zufolge fürchten 67 Prozent gar den Ausbruch eines Bürgerkriegs. 

Am Montag hatten 64 von 120 Abgeordneten für einen Gesetzentwurf gestimmt, der die Handlungsmöglichkeiten des Obersten Gerichts einschränkt. Die Opposition boykottierte die Abstimmung. Das Gesetz ist Teil eines größeren Pakets. Kritiker stufen es als Gefahr für Israels Demokratie ein und warnen sogar vor der Einführung einer Diktatur.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu zufolge ermöglicht das Gesetz der gewählten Führung das Regieren im Sinne der Mehrheit der Bürger. Befürworter der Reform argumentieren, Richter seien anders als Abgeordnete oder Minister nicht direkt vom Volk gewählt. Sie seien jetzt unabhängiger von den Richtern und könnten Interessen ihrer Wähler leichter durchsetzen. Mit dem neuen Gesetz ist es dem Obersten Gericht künftig nicht mehr möglich, eine Entscheidung der Regierung oder einzelner Minister als "unangemessen" zu bewerten. Zahlreiche Experten befürchten, dass dies Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung wichtiger Posten oder Entlassungen begünstigen könnte.

Auch Ärzte beteiligen sich an Protest

Vertreter der Opposition, die Anwaltskammer sowie mehrere Nichtregierungsorganisationen kündigten noch am Montag an, wegen des Gesetzes das Oberste Gericht anzurufen. Experten zufolge könnte es zu einer Staatskrise kommen, sollte sich das Gericht dazu entscheiden, einzugreifen. Israels Ärztekammer kündigte Medienberichten zufolge für Dienstag einen Proteststreik an. Krankenhäuser arbeiten demnach nur mit minimaler Kapazität und behandeln nur Notfälle.

Die USA kritisierten die Entscheidung des israelischen Parlaments. Der Kurs der Regierung Netanjahus ist in den vergangenen Monaten zur Belastungsprobe für die israelisch-amerikanischen Beziehungen geworden. Die USA sind Israels engster Bündnispartner und unterstützen das Land im Verteidigungsbereich jedes Jahr mit Milliarden US-Dollar. Ein weiteres Kernstück der Reform – eine Änderung bei der Richterbesetzung – soll nach dem Willen der Koalition bereits in der nächsten Sitzungsperiode im Herbst auf die Agenda rücken.