Russische Ermittler haben den prominenten Nationalisten Igor Girkin festgenommen, der Präsident Wladimir Putin und der Armeespitze öffentlich eine zu unentschlossene Kriegsführung in der Ukraine vorgeworfen hat. Girkins Frau Miroslawa Reginskaja teilte am Freitag über den Telegram-Kanal ihres Mannes mit, dass ihr von Bekannten berichtet worden sei, ihr Mann sei am Vormittag zu Hause abgeführt und wegen Extremismus angeklagt worden. Sie wisse nichts über seinen Verbleib.

Girkins Anwalt sagte der staatlichen Nachrichtenagentur Tass, es sei ihm unklar, warum sein Mandant festgenommen worden sei. Das Medienportal RBC berichtete unter Berufung auf Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden, dass Girkins Wohnung in Moskau durchsucht und er aufgrund einer Beschwerde eines ehemaligen Mitarbeiters der Söldner-Gruppe Wagner festgenommen worden sei. Die Behörden äußerten sich zunächst nicht dazu.

Internationaler Haftbefehl gegen ihn liegt vor

Die Festnahme deutet darauf hin, dass die Behörden Girkins Kritik an der sogenannten speziellen Militäroperation in der Ukraine – wie der Krieg in Russland offiziell genannt wird – überdrüssig geworden sind. Sie folgt zudem auf die gescheiterte Revolte von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin im vergangenen Monat, der die Militärführung ebenfalls scharf kritisiert hatte. Girkin, auch bekannt als Igor Strelkow, war maßgeblich bei Russlands Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Jahr 2014 tätig und organisierte anschließend pro-russische Milizen, die die Kontrolle über Gebiete in der Ostukraine übernahmen. Für seine mutmaßliche Rolle beim Abschuss des Malaysia-Airlines-Fluges MH17 über der Ostukraine im Jahr 2014, bei dem 298 Passagiere und Besatzungsmitglieder ums Leben kamen, wurde er von einem niederländischen Gericht im vergangenen Jahr in Abwesenheit zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Beleidigte Putin auch persönlich

Der ehemalige Offizier des Inlandsgeheimdiensts FSB galt aufgrund seines Hintergrunds und seiner Verbindungen zu den Behörden für viele als unantastbar. Er hatte sich aber in den vergangenen Monaten immer lautstärker kritisch geäußert. Im Mai kündigte Girkin an, dass er und andere den "Klub der wütenden Patrioten" gegründet hätten, um in die Politik einzutreten und Russland vor dem zu bewahren, was er als Gefahr von Unruhen aufgrund militärischer Misserfolge in der Ukraine bezeichnete. Auf die Frage, ob er naiv sei, anzunehmen, er könne eine politische Bewegung ohne die Zustimmung des Kremls ins Leben rufen, antwortete er damals: "Ich hoffe, Sie bezeichnen mich nicht als naiv."

In einer seiner unverblümtesten Tiraden am vergangenen Dienstag beleidigte Girkin Putin persönlich. Der Beitrag auf seinem offiziellen Konto auf dem Kurznachrichtendienst Telegram wurde von mehr als 760.000 Menschen gelesen. Er forderte ihn darin auf, die Macht "an jemanden zu übergeben, der wirklich fähig und verantwortlich ist".

Tatiana Stanowaja, Gründerin der Analysefirma R.Politik, meint, dass einflussreiche Leute bei den Behörden, Girkin schon länger festnehmen wollten. "Strelkow (Girkin) hatte schon vor langer Zeit alle denkbaren Grenzen überschritten", sagte sie. "Dies ist eine direkte Folge der Meuterei Prigoschins: Die Armeeführung verfügt nun über ein größeres politisches Druckmittel, um ihre Gegner im öffentlichen Raum zu unterdrücken." Girkins Festnahme sei ein Signal, dass jeder der schärfsten Kritiker der Moskauer Kriegsstrategie mit Strafverfolgung rechnen müsse.