Bei ihrer Reise nach Kiew sind der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und drei weitere europäische Staats- und Regierungschefs mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu Gesprächen zusammengekommen. Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron, Italiens Regierungschef Mario Draghi und Rumäniens Präsident Klaus Iohannis wurden am Donnerstagmittag von Selenskyj im Präsidentenpalast empfangen.
Für "sofortigen EU-Kandidatenstatus"
Macron, Scholz, Draghi und Johannis sprachen sich im Rahmen ihres gemeinsamen Kiew-Besuchs für einen "sofortigen" EU-Kandidatinnenstatus der Ukraine aus: "Auf jeden Fall unterstützen wir den Beitrittsstatus der Ukraine zur Europäischen Union", sagte Macron bei einer Pressekonferenz in der ukrainischen Hauptstadt. Man trete dafür ein, dass die Ukraine, aber auch Moldawien den Status von EU-Beitrittskandidaten bekommen, betonte Scholz. Schon morgen will die EU-Kommission eine Empfehlung zu dem Thema vorlegen, diese Entscheidung muss einstimmig getroffen werden - vermutlich beim EU-Gipfel am 23. und 24. Juni in Brüssel.
Vor dem Treffen hatten die europäischen Gäste den Kiewer Vorort Irpin besucht und sich die Zerstörung durch die russischen Angriffe zeigen lassen. Scholz verurteilte dort die "Brutalität" des russischen Angriffskriegs und sprach von sinnloser Gewalt. Es seien unschuldige Zivilisten getroffen und eine ganze Stadt zerstört worden, in der es überhaupt keine militärischen Strukturen gegeben habe. "Das sagt sehr viel aus über die Brutalität des russischen Angriffskriegs, der einfach auf Zerstörung und Eroberung aus ist." Die Zerstörungen in Irpin seien ein "ganz wichtiges Mahnmal" dafür, dass etwas zu tun sei.
Macron sprach in Irpin davon, dass dort "Massaker und Kriegsverbrechen" begangen worden seien. "Es ist eine heroische Stadt, gezeichnet von den Stigmata der Barbarei." Draghi traut der Ukraine den Wiederaufbau nach dem Krieg zu. "Das hier ist ein Ort der Zerstörung, aber auch der Hoffnung", so der italienische Ministerpräsident beim Besuch in Irpin. "Vieles, von dem mir hier erzählt wurde, drehte sich um die Zukunft und den Wiederaufbau", sagte Draghi. "Das Volk wurde vereint durch den Krieg, es kann nun Sachen schaffen, die vor dem Krieg vielleicht nicht möglich gewesen wären." Auf eine Frage, ob internationale Hilfe ähnlich des Marshall-Plans nötig sei, antwortete er: "Darüber werden wir nachher reden."
Rumäniens Staatspräsident Iohannis verlangte erneut, dass Gräueltaten Russlands vor ein internationales Strafgericht gebracht werden. "Ich erneuere mit Nachdruck meinen Appell dafür, dass alle russischen Täter von der internationalen Strafjustiz - die Rumänien voll unterstützt - zur Verantwortung gezogen werden", twitterte Iohannis am Donnerstag nach dem Besuch in Irpin. "Es gibt keine Worte um die unvorstellbare menschliche Tragödie und die schrecklichen Zerstörungen zu beschreiben, die wir heute in Irpin gesehen haben", schrieb Iohannis.
"Absolut nutzlos"
Russland warnte unterdessen vor weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine. Diese wären "absolut nutzlos" und würden dem Land nur "weiter schaden", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag in Moskau. "Ich möchte hoffen, dass die Führer dieser drei Staaten (...) sich nicht nur darauf konzentrieren, die Ukraine zu unterstützen, indem sie die Ukraine weiter mit Waffen vollpumpen", so Peskow. Die drei EU-Politiker sollten ihre Zeit mit Selenskyj nutzen, um einen "realistischen Blick auf die Sachlage" zu werfen.Das russische Militär meldet inzwischen fast täglich die Zerstörung westlicher Waffen in der Ukraine. Russland wirft der Ukraine seit Monaten in dem Krieg vor, seine Kräfte falsch einzuschätzen. Kiew lehnt Aufforderungen Moskaus zur Kapitulation allerdings kategorisch ab.
Seit Mitte März sind zahlreiche Staats- und Regierungschefs, darunter Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), in die Ukraine gereist. Dieser Besuch ist aber wohl der bedeutendste: Scholz, Macron und Draghi repräsentieren die drei bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten EU-Länder.