Der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk hat am Dienstag vor Beginn der Nationalratssitzung eine Rede an das österreichische Parlament gehalten. Vor den Abgeordneten aller Fraktionen außer der FPÖ plädierte Stefantschuk einmal mehr für eine EU-Annäherung seines Landes und die Zuerkennung des Beitrittskandidatenstatus beim EU-Gipfel am 23. und 24. Juni. Von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS erhielt er dafür Solidaritätsadressen.
70.000 in Österreich aufgenommen
Nach der Begrüßung durch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) dankte Stefantschuk Österreich für die helfende Hand in Zeiten der Not und die Aufnahme von 70.000 Vertriebenen. "Wir werden das niemals vergessen", sagte er und beschwor historische Beziehungen und emotionale Bande: "Tausende österreichische Familien haben nicht nur die Türen zu ihren Häusern und Wohnungen geöffnet, sondern auch die Türen zu ihren Herzen." Österreich habe zudem eine wichtige Rolle bei der Verhängung von Sanktionen gegen den Aggressor Russland gespielt.
Er erinnerte daran, dass die Ukraine im Krieg mit Russland nicht nur die Grenzen seines Landes, sondern auch die des zivilisierten Europas verteidige. Es werde ein "Krieg gegen Europa geführt", in dem Österreich und die Ukraine gemeinsame Werte vertreten würden. "Ich glaube, dass wir diesen Krieg gewinnen werden. Dazu muss man entschlossen und mutig sein", unterstrich Stefantschuk.
Seine wichtigste Message sei aber: "Die Ukraine ist ein Teil Europas." Hauptziel seines Besuchs sei daher, wie schon in anderen Ländern, die parlamentarischen Kollegen davon zu überzeugen, beim EU-Gipfel eine Entscheidung für den Beitrittskandidatenstatus seines Landes zu treffen. "Wir brauchen keine Zugeständnisse, keinen Sonderstatus", betonte er. Die Ukraine werde die Kopenhagener Kriterien voll erfüllen, um die Vollmitgliedschaft in der EU zu erlangen.
Entscheidend im Juni sei aber die historische und politische Botschaft. Für die Ukraine sei sie von großer Bedeutung, um den Widerstand gegen Russland für den Frieden fortzusetzen. "Am 24. Februar hat Russland die Ukraine heimtückisch angegriffen und einen Angriff auf ganz Europa verübt", sagte Stefantschuk. Am 24. Juni biete sich nun "die einmalige Chance, eine würdige Antwort zu geben" und den Gang der Geschichte zu wenden.
Von den Fraktionen gab es dazu nur recht allgemeine Antworten auf diesen Wunsch. ÖVP-Außenpolitiksprecher Reinhold Lopatka versprach in seiner Wortmeldung humanitäre Hilfe und betonte: "Ja, militärisch sind neutral, aber politisch nicht." Österreich unterstütze die EU-Perspektive der Ukraine. In Sachen EU-Beitritt könne es aber keine Abkürzung oder Sonderregelungen geben. Auch dürfe der Westbalkan nicht vergessen werden.
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner unterstrich, dass Krieg niemals ein legitimes Instrument einer Auseinandersetzung im 21. Jahrhundert sein dürfe. Ziel aller Bemühungen müsse sein, diesen Krieg so rasch wie möglich zu beenden. Diplomatie sei dabei alternativlos, und man dürfe nichts unversucht lassen, Richtung Frieden zu gehen. Für Österreich hielt sie erneut ein Plädoyer für ein Festhalten an der immerwährenden Neutralität.
Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer unterstrich die Wichtigkeit, nicht nur über den brutalen Angriffskrieg Russlands zu sprechen, sondern auch mit den Betroffenen zu reden und mit ihnen solidarisch zu sein. Der EU-Beitritt der Ukraine werde Zeit brauchen, aber es werde viele Wege einer Beschleunigung geben, zeigte sie sich optimistisch. "Die Ukraine hat alles Recht, ihren Weg selbstbestimmt einzuschlagen, und wir werden sie dabei unterstützen", so Maurer.
"Ukraine muss Krieg gewinnen"
Beate Meinl-Reisinger (NEOS) beschwor die Vision der Ukraine als freies Land in einem freien Europa ohne Grenzen. "Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen", betonte die NEOS-Chefin. Sie müsse ihre Freiheit, Unabhängigkeit und territoriale Souveränität erfolgreich verteidigen: "Hier stehen wir Seite an Seite mit Ihnen." Am 24. Februar sei die Ukraine ein selbstbewusster Nationalstaat auf dem Weg nach Europa geworden. Sie hoffe, dass das mit dem 24. Juni auch schon "ganz konkret" werde. "So gesehen, hat Putin schon verloren."
Die Freiheitlichen blieben der Veranstaltung ostentativ fern, die anderen Fraktionen verteilten sich mit ihren Mandataren auf deren Plätze im Plenarsaal. Man wolle nicht "als propagandistische Staffage missbraucht" werden, sagte FPÖ-Chef Herbert Kickl in einem Pressestatement im Medienraum des Parlaments. Er kritisierte, dass sich das Parlament als Bühne für Propaganda einer Kriegspartei missbrauchen lasse.
Stefantschuk wird in Wien auch von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) empfangen. Eine geplante Videoschaltung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Parlament war zuletzt wegen Bedenken der FPÖ und zunächst auch der SPÖ in Hinblick auf die Neutralität Österreichs nicht zustande gekommen.