"Zieh dich aus oder ich erschieß dich." Mit diesen Worten nahm die Unversehrtheit von Anna, die im echten Leben anders heißt, ihr Ende. 70 Kilometer von Kiew entfernt, in einer kleinen, ruhigen Nachbarschaft, wurde die 50-Jährige von einem Soldaten vergewaltigt. Das erzählte sie vor ein paar Wochen dem Nachrichtensender BBC.

Ist Anna ein Einzelfall? Leider nicht, wie die ukrainische Aktivistin Kateryna Cherepakha vor dem UN-Sicherheitsrat mahnte. Denn Berichte über sexualisierte Gewalt gegen die ukrainische Bevölkerung häufen sich. Die Darlegungen werden als glaubwürdig eingestuft – auch, wenn konkrete Zahlen bislang fehlen. Der russischen Armee wird angelastet, Vergewaltigung als Kriegswaffe zu nutzen. Eine Strategie mit Tradition, die ihre Wirksamkeit nicht verfehlt. Denn wer sexualisierte Kriegsgewalt strategisch einsetzt, spaltet eine Gesellschaft im Kern. Das Ziel: Frauen wie Anna zu brechen, ihnen jegliche Sicherheit zu rauben.

Langfristig zerstört das die Gemeinschaft – und zwar über Generationen hinweg. Denn Traumata können Spuren im Erbgut hinterlassen. Das Risiko, dass nachfolgende Generationen anfälliger für Ängstlichkeit, Stress und andere Belastungen werden, steigt. Für traumatisierte Menschen ist das Wissen über die transgenerationale Weitergabe oft mit Schuldgefühlen verbunden – ein Teufelskreis, der unsichtbar bleibt. Laut Angaben des Europarats waren allein im Bosnienkrieg rund 20.000 Frauen von sexualisierter Gewalt betroffen. Doch die Taten blieben meist ungestraft – die Vergewaltigung, eine Randnotiz, die erst 2008 vom UN-Sicherheitsrat als Kriegsverbrechen eingestuft wurde.

Wollen wir es diesmal besser machen. Sexualisierte Gewalt ist kein Kollateralschaden. Und jedes Opfer ist eines zu viel. Die Welt soll sich erinnern – an Frauen wie Anna, an die vergessenen und namenlosen Opfer. Fordern wir Sichtbarkeit und Strafe. Und sprechen wir über patriarchale Strukturen. Denn die Botschaft, die hinter strategischen Vergewaltigungen steckt, ist klar: Männer, ihr habt es nicht geschafft „eure“ Frauen zu schützen. Das Patriarchat als Herrschaftsverhältnis zeigt damit seine hässlichste Fratze.