Die Lage in der Ukraine-Krise bleibt angespannt. Während Russland bekräftigt, es führe einen Teilrückzug seiner vor den Grenzen der Ukraine stationierten Truppen durch, blieb die Nato gestern skeptisch. "Es gibt Signale aus Moskau, dass die Diplomatie fortgesetzt werden könnte, aber bisher haben wir keine Anzeichen für einen Rückzug oder eine Deeskalation gesehen", sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Auch die EU-Kommission erklärte, vor Ort keine Zeichen einer Deeskalation zu sehen. Stattdessen werde der russische Truppenaufmarsch fortgesetzt. Die Ukraine fühlt sich davon bedroht. US-Präsident Joe Biden warnte gestern erneut vor einer Invasion Russlands in die Ukraine.

Auch verbal erreichte die Drohkulisse, mit der Druck auf die Verhandlungen ausgeübt werden soll, eine neue Stufe. Der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko, der in der Ukraine-Krise Russland unterstützt, erklärte, Belarus sei zur Stationierung von Atomwaffen bereit. Die Aussage kann als Teil des Informationskrieges zwischen Ost und West betrachtet werden.

Allerdings verstärkt auch die Nato angesichts des russischen Aufmarsches ihre Truppen in ihren Mitgliedsländern im Osten Europas. So sollen in Rumänien multinationale Kampftruppen stationiert werden. Rumänien verfügt über eine mehr als 600 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit der Ukraine. Die USA kündigten an, rund tausend Soldaten aus dem bayerischen Vilseck nach Rumänien zu verlegen. Es handle sich dabei nicht um eine permanente Verlegung. Das Pentagon hat zudem 4700 zusätzliche Soldaten nach Polen entsandt. Diese sollen gemeinsam mit polnischen Behörden Vorkehrungen für den Fall einer größeren Fluchtbewegung aus der Ukraine treffen. Deutschland schickt 350 zusätzliche Soldaten nach Litauen. Großbritannien kündigte an, seine Kräfte in Estland von derzeit gut 800 Mann zu verdoppeln.

Nato-Mitglieder im Osten beruhigen


Russland kritisierte die Maßnahmen der westlichen Allianz. Doch was will die Nato mit ihrem Truppenaufmarsch erreichen? Aus Sicht des Sicherheitsexperten Franz-Stefan Gady ist die Lage klar: "Der Nato und den USA geht es darum, ihre Mitglieder im Osten zu beruhigen und zu signalisieren, dass, sollte es im Falle der Ukraine-Krise auch auf einen Angriff auf ein Nato-Land kommen, die Allianz ihr Mitglied verteidigen würde", erklärt Gady, der am International Insitute for Strategic Studies in London forscht.

Defensive Ausrichtung

Es handle sich dabei nicht um Truppen, die sich für einen Angriff eignen, sondern um leichte Verbände mit defensiver Ausrichtung. Den Militärs in Moskau sei dies natürlich vollkommen klar. Biden hatte mehrfach betont, dass keine amerikanischen oder Nato-Kampftruppen in einen möglichen Krieg in der Ukraine einsteigen würden. "Würde die Nato einen Angriff planen, müsste sie schweres Gerät wie Kampfpanzer, gepanzerte Artillerie, Kampfflugzeuge Richtung Osten verlegen, sowie die dazu notwendige Logistik aufbauen – was nicht der Fall ist", so Gady.

Er halte den Schritt daher für eine vorrangig politische Maßnahme. „Problematisch ist er dennoch“, meint der Experte. „Nämlich deshalb, weil er den Europäern signalisiert, dass sie sich in ihrer Sicherheitspolitik weiter auf die USA verlassen können, statt sich selbst darum zu kümmern“, betont Gady. Dabei werde übersehen, dass sich Washington längst dem pazifischen Raum und möglichen Konflikten mit China um Taiwan zugewandt habe, sagt Gady: „Und einen Zwei-Fronten-Krieg – im Pazifik und in Europa, mit Russland, könnte sich nicht einmal die Streitmacht der USA leisten“.