US-Präsident Joe Biden befürchtet trotz aller Beteuerungen aus Moskau einen russischen Einmarsch in die Ukraine in den nächsten Tagen. Biden sagte am Donnerstag in Washington, die Gefahr einer Invasion sei "sehr hoch", und nach seiner Einschätzung könne es "in den nächsten paar Tagen" dazu kommen. Alles deute darauf hin, dass Russland bereit dazu sei, die Ukraine anzugreifen. Der US-Präsident betonte zugleich, es gebe nach wie vor die Möglichkeit einer diplomatischen Lösung.

Darum habe er US-Außenminister Antony Blinken zu einer Sitzung des UNO-Sicherheitsrates nach New York geschickt. Biden sagte auch, er habe zurzeit keine Pläne, erneut mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu telefonieren.

Es gebe auch Grund zur Annahme, dass Moskau in einer Operation unter falscher Flagge verwickelt sei, so Biden. So werden Machenschaften bezeichnet, um einen Vorwand für einen Angriff künstlich zu inszenieren.

Gefechte in der Ostukraine

In der Ostukraine ist es laut OSZE-Beobachtern vor Ort am Donnerstag zu Gefechten gekommen. Demnach habe es einen Artillerie-Beschuss gegeben, hieß es aus diplomatischen Kreisen unter Berufung auf die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Das ukrainische Militär berichtete, aus dem Gebiet der pro-russischen Separatisten sei bei Luhansk auf eine Ortschaft geschossen worden. Von einer "Provokation" sprach ein ranghoher ukrainischer Regierungsvertreter.

Die jüngsten Beschüsse aus dem Gebiet der pro-russischen Separatisten im Osten des Landes passten nicht in die Art der üblichen Verletzungen der Waffenruhe, so der Regierungsvertreter mit. Es sähe vielmehr nach einer "Provokation" aus.

Kindergarten wurde getroffen

Bei dem Beschuss in Luhansk sei ein Kindergarten getroffen worden. Verletzte gab es keine. Auch in Donezk waren Zeugen zufolge in der Nähe des Flughafens und in dem Dorf Elenowka in der Provinz Donezk Artillerieschüsse zu hören, hieß es laut Reuters.

Die ukrainische Armee dementierte einen Beschuss von Stellungen pro-russischer Separatisten. Obwohl man mit Artillerie beschossen worden sei, sei das Feuer nicht erwidert worden, sagte ein Sprecher der Regierungstruppen zu Reuters. Die von Russland unterstützten Rebellen warfen ukrainischen Truppen dagegen vor, ihr Territorium angegriffen zu haben.

Die ostukrainischen Separatisten warfen den Regierungstruppen Verstöße gegen den geltenden Waffenstillstand vor, hieß es laut dpa. Die Armee berichtete hingegen nur von vereinzelten Verstößen der Gegenseite. Die pro-russischen Rebellen teilten mit, vor allem in der Früh seien an mehreren Orten im Luhansker Gebiet Dutzende Mörsergranaten abgefeuert worden. Auch im Donezker Gebiet seien Stellungen der Aufständischen beschossen worden. Die Rebellen hätten das Feuer erwidert.

Kremlsprecher Dmitri Peskow teilte laut Agentur Interfax mit, Kiew habe seine "provokativen Handlungen" in den vergangenen Tagen verstärkt. "Das ist eine sehr, sehr gefährliche Situation", so Peskow. Im Westen werde immer nur über das Angriffspotenzial Russlands, nicht über das der Ukraine gesprochen.

Beide Seiten berichteten nichts von Verlusten in den eigenen Reihen. Unabhängige Darstellungen lagen zunächst nicht vor.

Widerspruch

Die Berichte standen im Widerspruch zu den jüngsten Erklärungen aus Moskau, wonach Russland seine Truppen im Grenzgebiet zur Ukraine nach Manövern teilweise wieder in die Kasernen zurückbeordern würde. Nach Angaben aus US-Regierungskreisen ist das Gegenteil der Fall. Demnach baut Russland seine Truppen in den Grenzregionen aus. "Gestern hat die russische Regierung erklärt, sie ziehe ihre Truppen von der Grenze zur Ukraine ab. Jetzt wissen wir, dass das nicht stimmte", sagte ein US-Regierungsvertreter. Die USA gingen davon aus, dass im Grenzgebiet zusätzlich 7.000 russische Soldaten eingetroffen seien.

Seit 2014 kämpfen in den ostukrainischen Gebieten Donezk und Luhansk, unweit der russischen Grenze, vom Westen unterstützte Regierungstruppen gegen von Russland unterstützte Separatisten. UNO-Schätzungen zufolge wurden bereits mehr als 14.000 Menschen getötet, zumeist im Separatistengebiet. Ein Friedensplan von 2015 wird nicht umgesetzt.