Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei ihrem Abschiedsbesuch in Istanbul die Situation von in der Türkei inhaftierten deutschen Staatsbürgern angesprochen. "Wir haben manchmal sehr unterschiedliche Betrachtungen, wann der Terrorismusvorwurf gilt", sagte sie am Samstag nach ihrem Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Während die Bundesregierung in einigen Fällen erfolgreich habe eingreifen können, seien immer wieder neue Fälle dazu gekommen.

Einige der in der Türkei in Gefängnissen einsitzenden deutschen Staatsbürger sind wegen der Unterstützung kurdischer Bewegungen in Haft, die in der Türkei als "terroristisch" eingestuft werden. Nach Angaben des deutschen Außenministeriums liegt die Zahl deutscher Häftlinge in der Türkei im "mittleren zweistelligen Rahmen".

Zusammenarbeit im Umgang mit den Taliban

Weiteres zentrales Thema bei den Gesprächen zwischen Erdogan und Merkel war das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei aus dem Jahr 2016. Die Kanzlerin betonte, dass die Türkei bei der Versorgung syrischer Flüchtlinge weiterhin Unterstützung brauche. Die Türkei liegt auf einer der Haupt-Transitrouten für Flüchtlinge Richtung Europa. In dem Abkommen von 2016 hatte Ankara unter anderem zugesagt, gegen Schlepperbanden vorzugehen, die Flüchtlinge nach Griechenland bringen. Die EU unterstützte im Gegenzug die Türkei in den vergangenen Jahren mit Milliardensummen.

Merkel rief den türkischen Präsidenten bei dem Treffen am Samstag auch zur Zusammenarbeit im Umgang mit den radikalislamischen Taliban in Afghanistan auf, um eine erneute Flüchtlingskrise zu verhindern. Die Taliban waren im August in Afghanistan nach einem Eroberungsfeldzug an die Macht gelangt. Die Türkei - das einzige muslimische NATO-Land - bemüht sich um einen guten Draht zu den neuen Machthabern und verhandelt mit den Taliban über die Sicherung des zivilen Betriebs des Kabuler Flughafens.

Erdogan kritisierte beim Treffen mit Merkel rassistische und islamfeindliche Angriffe auf türkischstämmige Menschen in Deutschland. Die Kanzlerin versprach, dass die deutsche Regierung weiterhin "sehr entschieden" gegen alle Vorfälle von "Menschenfeindlichkeit" vorgehen wolle. Erdogan unterstrich, dass er hoffe, auch mit der zukünftigen deutschen Bundesregierung gut zusammenarbeiten zu können. Nachdem der türkische Präsident die Vorteile des türkischen Präsidialsystems gegenüber deutscher Koalitionsregierungen herausgestellt hatte, meinte Merkel: "Wir haben keine Absicht, ein Präsidialsystem einzuführen, und trotzdem wollen wir gute Beziehungen mit der Türkei."

Zudem bestätigte Merkel, dass Deutschland die Türkei bei der Umsetzung von Klimaschutz-Maßnahmen unterstützen werde. Es ist die zwölfte Reise Merkels in die Türkei als deutsche Kanzlerin und voraussichtlich ihre letzte als solche.

Gute Zusammenarbeit

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hofft, auch mit der zukünftigen deutschen Bundesregierung gut zusammenarbeiten zu können. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe immer einen "vernünftigen und lösungsorientierten Ansatz" gepflegt, sagte Erdogan am Samstag nach einem Treffen mit der Kanzlerin in Istanbul. Er hoffe, die Zusammenarbeit fortführen zu können. "Ich wünsche der neuen Regierung und ihrem Kanzler jetzt schon viel Erfolg."

Es ist Merkels zwölfte Reise in die Türkei als Kanzlerin und voraussichtlich ihre letzte als solche. Merkel will mit Erdogan unter anderem über das Thema Migration und die Aufnahme von Geflüchteten sprechen. Es könnte auch um Bürgerrechte, den Umgang mit der Zivilgesellschaft und die Rolle der Türkei in der NATO gehen.

Thema Migration

Beim Thema Migration spielt Ankara eine wichtige Rolle für Deutschland und die EU. Die Türkei hat bereits rund 3,7 Millionen Geflüchtete aus Syrien sowie Hunderttausende Migranten aus anderen Ländern, etwa aus Afghanistan aufgenommen.

Merkel ist Mitarchitektin des sogenannten Flüchtlingspakts von 2016 zwischen der Türkei und der EU. In dem Rahmen erhält die Türkei unter anderem finanzielle Unterstützung für die Syrer im Land. Die EU hat der Türkei weitere Gelder in Aussicht gestellt. Erdogan hat zuletzt aber mehrmals deutlich gemacht, dass er nicht dazu bereit sei, weitere Geflüchtete etwa aus Afghanistan aufzunehmen.

Die Akzeptanz für Migranten sinkt angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und massiven Inflation in der Türkei - Erdogan steht deshalb auch innenpolitisch unter Druck und schottet sein Land weiter ab. An der Grenze zum Iran, über die viele Afghanen illegal einreisen, wird zurzeit eine Mauer gebaut. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hatte der Türkei am Freitag vorgeworfen, Afghanen an der Ostgrenze rechtswidrig zurück in den Iran zu drängen und forderte Merkel auf, das Thema bei Erdogan anzusprechen.

Turbulente Beziehungen

Die Beziehungen zwischen der Türkei und der Bundesregierung waren in den letzten Jahren turbulent. Besonders im Jahr 2017 hatte die Inhaftierung deutscher Staatsbürger das Verhältnis zwischen Berlin und Ankara schwer belastet. Ein Tiefpunkt war erreicht, nachdem Erdogan im selben Jahr auch die Kanzlerin persönlich mit Nazi-Vergleichen attackierte. Inzwischen haben sich beide Seiten wieder angenähert. Die Kanzlerin sei in der Türkei immer als "respektierte europäische und weltweite Führungspersönlichkeit" angesehen worden, hieß es aus türkischen Regierungskreisen.

Doch die Strafverfolgung von deutschen Staatsbürgern und türkischen Oppositionellen ist nach wie vor ein Streitpunkt. Erst am Dienstag war ein kurdischstämmiger Deutscher in der Türkei zu mehr als zwei Jahren Haft wegen Terrorpropaganda verurteilt worden.

Grünen-Politikerin Claudia Roth forderte die Freilassung des Kulturförderers Osman Kavala und des prominenten Oppositionspolitikers Selahattin Demirtas sowie die "aller politischen Gefangenen". Das sei eine Voraussetzung für einen "wertegeleiteten Neustart" der Beziehungen zur Türkei, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.

Kavala sitzt seit November 2017 in Untersuchungshaft, der Politiker der prokurdischen HDP Demirtas ist seit November 2016 im Gefängnis. In beiden Fällen hat die Türkei Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Freilassung nicht umgesetzt.