Es sind Bilder, die so manchen an die düsteren Zeiten der Sklaverei erinnern: US-Grenzbeamte, die bei ihrem Einsatz in der texanischen Grenzstadt Del Rio in eine Menschenmenge reiten und ihre Pferde einsetzen, um die Flüchtlinge zusammenzutreiben; dazu schwingen sie drohend ihre Zügel, als hätten sie Peitschen in der Hand. So, das zeigt sich in den Tagen danach, haben sich die Demokraten und auch Joe Biden selbst seine Flüchtlingspolitik nicht vorgestellt.

Die Bilder seien „schrecklich“, sagt US-Vize-Präsidentin Kamala Harris. „Das ist ein Schandfleck für unser Land“, erklärt die demokratische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez. Und dann fällt auch schon das T-Wort: „Wir können diese hasserfüllte Trump-Politik, die unsere Flüchtlingsgesetze missachtet, nicht fortsetzen“, schimpft Chuck Schumer, der demokratische Mehrheitsführer im Senat. Tritt der nette ältere Herr im Weißen Haus in die Fußstapfen seines Vorgängers?

US-Präsident Joe Biden
US-Präsident Joe Biden © AFP



Tatsächlich sieht sich Biden derzeit viel Kritik ausgesetzt – auch aus Europa, wenngleich aus anderen Gründen. „Nicht akzeptabel“ fand EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen den U-Boot-Deal, den die USA mit Australien abschlossen – ausgebootet wurde dabei aber Frankreich. Und EU-Ratspräsident Charles Michel warf Biden nicht nur einen „Mangel an Loyalität“ vor, sondern scheute auch vor dem Trump-Vergleich nicht zurück: Bei dem nämlich und bei seiner „America First“-Politik sei „wenigstens sehr klar gewesen – in Tonfall, Inhalt und Sprache –, dass die EU seiner Meinung nach kein nützlicher Partner war“, polterte Michel. Der Honeymoon zwischen Europa und Bidens Amerika ist vorbei.

Schuld an der Enttäuschung sind wohl beide Seiten. Biden versteht es meisterlich, in großväterlichem, auch pathetischem Ton die transatlantische Freundschaft zu beschwören – doch das heißt nicht, dass er die Interessen der Supermacht USA weniger ernst nehmen würde als sein Vorgänger. „America Second“ – das spielt es auch unter Joe Biden nicht. In Europa war nach den konfliktbeladenen Jahren mit Donald Trump die Erleichterung groß; doch die Hoffnungen, die in den Neuanfang mit Biden gesteckt wurden, waren auch übertrieben.

Biden erspart der Welt den Twitter-Lärm und die Beschimpfungen, mit denen Trump alle überzogen hatte, die anderer Meinung waren als er selbst. Doch die Mäßigung im Tonfall kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch er die unter Obama eingeleitete neue Prioritätensetzung der USA in Richtung China fortsetzt.



Und Joe Biden nimmt dafür auch einiges an Pannen, Chaos und Irritationen in Kauf – den Abzug aus Afghanistan etwa zog er durch, ohne Nato-Verbündete wie Frankreich oder Deutschland auch nur vorzuwarnen; auch deren Vorschläge, zumindest noch Kabul zu halten, kümmerten ihn wenig. Deutlicher hätte er den Europäern gar nicht ausrichten können: In der Nato hat Washington das Sagen. Und wenn die Europäer das ändern wollen, werden sie, statt zu jammern, verteidigungspolitisch auf eigene Beine kommen müssen.

Dennoch: Der Vergleich Bidens mit Trump hinkt. In der Klimapolitik riss Biden das Steuer um 180 Grad herum und machte den Austritt der USA aus dem Klimaabkommen, den Trump betrieben hatte, rückgängig. Dasselbe gilt für die Corona-Politik: Auch wenn es Biden nicht gelang, die republikanisch dominierten Bundesstaaten auf seinen Kurs einzuschwören, machte er sich doch mit großem Einsatz für Schutzmaßnahmen und Impfungen stark – während sein Vorgänger die Krankheit verharmloste. Auch Bidens Infrastruktur- und Wiederaufbau-Programm fiel gewaltig aus – und wird von Trump und seinen Anhängern heftig kritisiert.

Eine offene Wunde bleibt, wie in Europa, die Migrationspolitik. Trumps rigide Einwanderungspolitik, mit Bildern von kleinen Kindern, die an der Grenze von ihren Eltern getrennt und in Käfige gesperrt wurden, hatte Biden einst scharf kritisiert. Doch jetzt gerät ihm die Lage in Del Rio, mit Tausenden Migranten aus Haiti, aus dem Ruder. Auch Biden setzt jetzt auf Massenausweisungen. So nett, wie manche dachten, ist der Herr im Weißen Haus dann doch nicht.