Mehr als 15 Stunden nach dem Schließen der Wahllokale in der russischen Hauptstadt haben die Behörden noch immer nicht die Verteilung jener Stimmen veröffentlicht, die mehr als zwei Millionen Wähler in Moskau bei den russischen Parlamentswahlen per Internet abgegeben haben. Während Kreml-Kritiker Manipulationen befürchteten, gingen Kreml-nahe Experten davon aus, dass Einiges Russland im Internet noch deutlich besser abschneiden würde als bei den Stimmen im Wahllokal.
Moskau war bei den russischen Parlamentswahlen zwischen Freitag und Sonntag eine von sieben Regionen, in denen via Internet abgestimmt werden konnte. Bereits jeder zweite von insgesamt vier Millionen aktiven Wählerinnen und Wählern in der russischen Hauptstadt präferierte diese Art der Stimmabgabe. Während die Internet-Ergebnisse der weiteren sechs Regionen am Sonntagabend veröffentlicht wurden, verzögerte sich die ebenso für die Abendstunden angekündigte Veröffentlichung der Moskauer Ergebnisse. Theoretisch hätte das Ergebnis per Knopfdruck nach Schließen der Wahlmöglichkeit sofort ermittelt werden sollen.
Kremlkritiker und Oppositionelle brachten am Montag die Verzögerung mit groß angelegten Manipulationen des Internet-Wahlergebnisses in Verbindung, Vertreter der Kommunisten forderten seine Annullierung.
Experten und Politiker der Regierungspartei waren indes am Sonntagabend davon ausgegangen, dass die Internet-Wahl in Moskau massiv der regierenden Partei Einiges Russland nützen würde. "Ich denke, dass Parteien wie die Kommunisten, die zum Boykott der Internet-Abstimmung aufgerufen haben, hier schlechter als in den Wahllokalen abschneiden werden. Anders wird das bei Parteien wie Einiges Russland sein, die zur Wahl im Internet aufgerufen haben", erklärte der APA der liberale Journalist Alexej Wenediktow, der als einer der Chefideologen der Internet-Abstimmung aufgetreten war. Er verglich die Situation mit den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen, wo Joe Biden bei den Briefwahlen deutlich besser als sein Konkurrent Donald Trump abgeschnitten hatte.
Der Kreml-nahe Politikexperte Konstantin Kostin hatte zuvor von "fantastischen Zahlen" gesprochen, die es für Einiges Russland bei den Internet-Wahlen in Moskau geben könnte. Er begründete dies damit, dass es viele loyale Wähler in der Hauptstadt gebe, die aber oftmals nicht zu den Wahlen gegangen seien und die nunmehr dies im Internet machen konnten.
Kritiker der Internetwahl hatten freilich angemerkt, dass etwa Arbeitgeber ihre Mitarbeiter zwingen könnten, vor ihren Augen im Internet für die Kremlpartei zu votieren oder einen Screenshot als Beweis dafür liefern zu müssen. Als Gegenmaßnahme wurde die Option eines erneuten Votierens geschaffen, das die erste Stimmabgabe automatisch ungültig machen würde. Screenshots konnten somit nur noch bedingt als Beweismittel für das endgültige Wahlverhalten gelten. Laut Wenediktow hätten 16 Prozent der Internetwähler diese Möglichkeit auch tatsächlich genützt.
In Ermangelung eines offiziellen Ergebnisses der Moskauer Internetwahl kursierten am Montag angebliche Resultate zu einzelnen Wahlkreisen. Sollten diese Zahlen stimmen, würde die Opposition letztendlich kein einziges von 15 Direktmandaten der russischen Hauptstadt gewinnen. Das von Anhängern des inhaftierten Politikers Alexej Nawalny propagierte "Intelligente Abstimmen" wäre somit in Moskau völlig gescheitert.