Die humanitäre Hilfe für Afghanistan läuft weiter, zumal für den Winter eine Hungerkatastrophe befürchtet wird. Entwicklungshilfe für das Land, wie sie bis dato gewährt wurde, wollen die EU-Länder aber von Bedingungen abhängig machen: Die neuen Machthaber sollen dafür eine Regierung bilden, die möglichst viele Bevölkerungsteile abbildet und unkomplizierte Hilfslieferungen ermöglichen. Zudem sind sie aufgefordert, die Einhaltung von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit zu gewähren, schutzbedürftigen Menschen die Ausreise zu garantieren und dafür zu sorgen, dass Afghanistan nicht wieder zu einer Basis für international operierende Terrorgruppen wird.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte am Freitag beim Außenministerrat in Slowenien, die EU wolle die zuletzt gestoppten Evakuierungsflüge für örtliche Hilfskräfte, EU-Bürger und stark gefährdete Menschen wieder aufnehmen, so rasch das möglich sei. Ob das funktioniere, sei bereits ein erster Gradmesser für die Haltung der Taliban. Einzelne EU-Länder würden auch jetzt Menschen aufnehmen, unter anderem aus jener Gruppe - rund 500 Personen - die zunächst ohne Visa nach Spanien gebracht wurde; Borrell dankte ausdrücklich den Gastgeberland Slowenien.
Wie es hieß, würden die USA, Katar und die Türkei schon jetzt in Gesprächen darüber sein, wann der Flugverkehr wieder geöffnet werden kann. Zunächst würden das aber keine regulären Flüge sein.
Auf die Frage, wie weit genau die Taliban gehen müssten, damit die Mittel wieder ins Fließen kommen, sagte Borrell, das sei keine mathematische Aufgabe: Man wisse, dass das Land Hilfe von außen ganz dringend braucht, derzeit gebe es keine Liquidität.
Mit den Nachbarländern Afghanistans soll rasch eine Plattform für gemeinsames Vorgehen eingerichtet werden, das betrifft insbesondere die Steuerung von Flüchtlingsbewegungen. Der diplomatische Dialog sei dafür unerlässlich; die Wiederaufnahme dieser Beziehungen sei längst nicht einer Anerkennung des neuen Regimes gleichzusetzen.
"Wir sind uns hier sehr einig gewesen, dass Europa in der Afghanistan-Krise eine Rolle spielen muss und auch eine Rolle spielen wird", kommentierte Deutschlands Außenminister Heiko Maas (SPD) nach dem Treffen in Slowenien. Der SPD-Politiker hatte den Taliban bereits am Donnerstagabend in Aussicht gestellt, dass Deutschland die derzeit gestoppten Entwicklungshilfe-Zahlungen für Afghanistan unter bestimmten Bedingungen wieder aufnehmen könnte. Insgesamt könnte das Land damit auch in diese Jahr rund 430 Millionen Euro aus der Bundesrepublik erhalten.
Humanitärer Korridor
Indessen verstärkt sich die Hoffnung, dass die internationalen Hilfsbemühungen schneller anlaufen können, als erwartet. Die mit den Islamisten in Verhandlungen stehende Regierung von Katar gab am Freitag bekannt, dass sie auf die Einrichtung von humanitären Hilfskorridoren an den afghanischen Flughäfen innerhalb von 48 Stunden hoffe. Mit der Wiederaufnahme des Flugbetriebs steigt die Hoffnung auf eine Fortsetzung der Evakuierungsaktionen von ausländischen Staatsbürgern und afghanischen Ortskräften.
Schon vor der Machtübernahme der Taliban Mitte August war Afghanistan in hohem Maße von Hilfslieferungen abhängig. Im Jahr 2020 gingen 40 Prozent des afghanischen Bruttoinlandsprodukts auf internationale Hilfen zurück. Zuletzt warnte die UNO, dass 18 Millionen Afghanen von einer humanitären Katastrophe bedroht seien. Ebenso so viele könnten bald hinzukommen.
Die afghanische Fluggesellschaft Ariana stellte unterdessen die Wiederaufnahme des ausgesetzten Inlandsflugverkehrs in Aussicht. Die Vereinigten Arabischen Emirate kündigten die Entsendung eines Flugzeugs mit "medizinischer Soforthilfe und Nahrungsmitteln" für "Tausende von Familien" nach Afghanistan an. Zuvor hatten die Vereinten Nationen die Wiederaufnahme von humanitären Flüge in Teile des Landes verkündet, darunter nach Mazar-i-Sharif im Norden und Kandahar im Süden.