Es war wohl gerade für einen Außenminister, dessen Land an der Situation nicht gänzlich unbeteiligt ist, ein desaströser Fauxpas: Der britische Außenminister Dominic Raab urlaubte trotz der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan weiter in der Sonne – genauer: auf der griechischen Insel Kreta. Erst an diesem Montag kehrte er nach London zurück. Raab soll es außerdem abgelehnt haben, mit dem afghanischen Außenminister ein dringendes Telefonat über die Evakuierung von afghanischen Ortskräften zu führen, die britischen Stellen über Jahre geholfen hatten.
Der 47-Jährige ist als "First Secretary of State" de facto Stellvertreter des Premierministers Boris Johnson, der ihn im Juli 2019 dazu und zum Außenminister ernannte. Der Jurist, der als Wirtschaftsanwalt Karriere machte, hat diplomatische Berufserfahrung – was gerade sein aktuelles Verhalten umso unverständlicher macht. Eine nachgereichte Presseaussendung und Fotos, die Raab bei der Leitung einer Telefonkonferenz mit den Außenministern anderer führender Industrienationen (G7) zeigt, besänftigen die Opposition kaum: Diese fordert den Rücktritt des konservativen Politikers. Längst verliert der Außenminister auch innerhalb der regierenden Tory-Partei und seines eigenen Ministeriums an Rückhalt, berichten britische Medien. Es wird eng für Raab.
Der innige Brexit-Verfechter war 2019 im Wettbewerb der Torys um die Nachfolge von Theresa May angetreten, flog aber in der zweiten Runde aus dem Rennen. Danach unterstützte er Johnson, der sich zu bedanken wusste: Das ihm angebotene Verteidigungsressort soll der Thatcherist noch abgelehnt haben – dann kam das Offert, im Rahmen des Totalumbaus des Regierungskabinetts das Amt des Außenministers zu übernehmen. Raab griff zu, steht indes nicht nur ob seiner Afghanistan-Politik unter Kritik. Selbst schließt der zweifache Vater seinen Rücktritt aus – bereits bei einer Kabinettsumbildung im nahenden Herbst könnte er aber fallen.
Thomas Golser