Seine erste Amtszeit begann am 29. September 2014, nun endete seine zweite – und sein Land ist drauf und dran, wieder im mittelalterlichen Taliban-"Gottesstaat" zu versinken. Der afghanische Präsident Aschraf Ghani räumte seinen Palast und suchte das Weite: Auf Facebook ließ der 72-Jährige wissen, er habe das Land verlassen, um so Blutvergießen zu vermeiden. Trotz Todesangst vor der Zukunft wirft ihm sein zurückgelassenes Volk gewiss keine Rosen nach.

Ghani peilte die usbekische Hauptstadt Taschkent an – nach Informationen der russischen Botschaft mit vier Wagen und einem Hubschrauber voller Geld. Letzter Appell an die Regierungstruppen: Sie sollen in Kabul weiter für "die Sicherheit aller Bürger" sorgen – von Gegenwehr ist im verwüsteten Afghanistan indes nicht mehr viel zu sehen.

Die Vita Ghanis ist bewegt: Mit einem Stipendium in der Tasche war er 1977 in die USA übersiedelt und hatte an der Columbia University in New York in Kulturanthropologie promoviert. Später lehrte er an mehreren US-Universitäten und arbeitete für die Weltbank. Von 2004 bis 2008 war der Intellektuelle dann Kanzler der Universität Kabul, ehe er die Sicherheitsverantwortung für Afghanistan übernahm. Nach einem nicht unumstrittenen Stichvotum setzte sich Ghani 2014 bei der Präsidentenwahl gegen seinen Konkurrenten Abdullah Abdullah durch. Ähnlich nebulös verlief eine Wiederwahl im Jahr 2019.

In Washington wuchs die Ungeduld mit Ghani – zu schleppend seien seine Bemühungen um Stabilität. Über Vizepräsident Amrullah Saleh ließ er ausrichten, die Afghanen sehnten sich nach Frieden, nicht nach "diktiertem Frieden". Davon ist nun so oder so keine Rede mehr: Einst hatte Ghani gesagt, es sei "unverhandelbar", dass Machtübergabe an eine Regierung nur durch Wahlen erfolgen könne.

Es kam anders: Taliban-Schergen nahmen das Land im Sturm und stürzen es mitsamt der Demokratie in den Schlund des radikalen Islamismus. Ghani hatte keine Antworten anzubieten. Thomas Golser