Ministerpräsident Reiner Haseloff klingt ganz entschieden. „Unser Hauptgegner in Sachsen-Anhalt ist die AfD“, sagt der CDU-Politiker. Heute wird in dem ostdeutschen Land ein neuer Landtag gewählt. Es ist die letzte Abstimmung vor der Bundestagswahl im September. Das Votum könnte eine Überraschung liefern: Die extrem rechte Partei AfD könnte erstmals bei einer Landtagswahl die stärkste Kraft stellen. Ein Problem nicht nur für die Demokratie, sondern auch für die Union. Sie muss im Osten ihr Verhältnis zur AfD klären. Wahr ist, die Bundestagswahl wird nicht im Osten entschieden, wahr ist aber auch, die Landtagswahl am Sonntag ist ein wichtiger Stimmungstest für den Bund. Ein Blick auf die Abstimmung und ihre Auswirkungen auf die Bundestagswahl.

Im Uhrzeigersinn von oben links: Eva von Angern von den Linken, Cornelia Lüddemann von den Grünen, Katja Pähle von den Sozialdemokraten, Lydia Hüskens von der FDP, Reiner Haseloff von der CDU und Oliver Kirchner von der AfD
Im Uhrzeigersinn von oben links: Eva von Angern von den Linken, Cornelia Lüddemann von den Grünen, Katja Pähle von den Sozialdemokraten, Lydia Hüskens von der FDP, Reiner Haseloff von der CDU und Oliver Kirchner von der AfD © AFP

Strategiediskussion in der CDU

Seit 2002 stellt die CDU in Sachsen-Anhalt den Ministerpräsidenten, seit zehn Jahren ist Haseloff Regierungschef. Doch steht er vor einem Problem, selbst wenn er die AfD noch abfangen sollte. Der Union droht eine Richtungsdebatte – über Sachsen-Anhalt hinaus. „Die AfD wurde im Westen gegründet, hat aber leider im Osten viele Anhänger“, sagt Haseloff. Nicht alle in seiner Partei gehen auf Distanz. Haseloffs Innenminister (und designierter Nachfolger) hatte im Vorjahr über eine Minderheitsregierung fabuliert und eine Tolerierung bewusst offengelassen. Haseloff ihn ab. Aber die Debatte blieb. Droht ein Ende wie in Thüringen, wo Union und AfD im Vorjahr gemeinsam den FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Kurzzeit-Regierungschef kürten?

Das miese Krisenmanagement beschleunigte damals den Abgang Annegret Kramp-Karrenbauers als CDU-Vorsitzende. Ihr Nachfolger Armin Laschet hat schon vor der Wahl am Sonntag ein Problem. Gegen den Wunsch der Parteispitze stellte die CDU in Thüringen den früheren Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen für die Bundestagswahl auf, der schon mal für den Fall eines Grünen-Wahlsieges im Bund über einen Bürgerkrieg sinnierte. Die Werteunion, offiziell keine Untergliederung der CDU, aber ein Sammelbecken konservativer Unionsanhänger, wählte Max Otte zu ihren Chef. Der frühere Fondsmanager, Kritiker der Flüchtlingspolitik Angela Merkels, saß zuvor im Kuratorium der AfD-Parteistiftung. Schöne Bescherung.

Angela Merkel geht, rutscht die Union nach rechts? Vor allem im Osten wogt die Debatte. Liberale Unionspolitiker wie der Ostbeauftragte der Bundesregierung, der sächsische Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz, vermissen „mangelnde Klarheit“ in der Abgrenzung seiner Partei nach rechts. Zugleich verband Wanderwitz seine Analyse in einem Podcast der FAZ mit einem krachenden Vorwurf: Manche Ostdeutsche seien nach der Wende „in der Demokratie nicht angekommen“.

Dabei geht es um mehr als eine „Pathologisierung des Ostens“, die der Historiker Sacha-Ilko Kowalczuk diagnostizierte. Es geht um die feine Trennlinie auch dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer. Viel alte Mitglieder der einstigen Blockpartei CDU stehen in einer autoritären Tradition, sie fremdeln mit den Grünen, die im Osten aus der oppositionellen Friedensbewegung und Bürgerrechtsgruppen hervorgegangen sind. Auch etliche junge CDU-Mitglieder stehen für Recht und Ordnung. Den beiden Gruppen steht die AfD näher als Grün. So wächst nicht zusammen, was im demokratischen Spektrum zusammengehört.

Haseloff regiert mit SPD und Grünen. Nach der Wahl sind andere Bündnisse denkbar, weil auch die FDP vor einer Rückkehr in den Landtag steht. Nur eine Partei schließt Haseloff aus: die AfD. „Die Partner müssen untereinander koalitionsfähig sein“, sagt er kategorisch. Fest steht schon vor der Wahl. Der CDU im Osten droht vor der Bundestagswahl eine unangenehme Richtungsdebatte.

Die AfD – verdächtig leise:  Angesichts der internen Diskussionen in der Ost-CDU muss die AfD nur warten. Der Magdeburger Spitzenkandidat Oliver Kirchner ist ohnehin auffallend still. Kein Vergleich zu Vorgänger André Poggenburg, der die AfD bei der letzten Wahl auf 24 Prozent führte. Poggenburg ist bekennender Flügel-Mann, wie die völkische Bewegung innerhalb der AfD um Anführer Björn Höcke genannt wird. Das Aus kam vor drei Jahren: Poggenburg sinnierte
öffentlich über Zuwanderer als „Kümmelhändler“ – und musste gehen. Ironie der Geschichte: In der Gegend um das anhaltinische Halle wurde das rare Gewürz im Mittelalter tatsächlich angebaut. Aber Geschichtsvergessenheit gehört zum Markenkern der AfD. Auch nicht Hans-Thomas Tillschneider, der in seinen Wahlkampfreden im Land in der Gestik auf Hitler anspielt.

Ansonsten gibt sich die AfD bieder. Ihre früheren Themen mit mobilisierender Kraft sind verschwunden: von der Eurokrise bis zur Flüchtlingspolitik. Die AfD ist geblieben. Und legt damit auch Missstände im ostdeutschen Transformationsprozess offen. Halle und Bitterfeld waren früher die großen Chemiestandorte der DDR. Davon ist nach der Wende wenig geblieben. Zwar ist Sachsen-Anhalt längst wieder Hightech-Standort  - von der Solarindustrie bis zur Batterietechnik. Aber dazwischen klemmt eine verlorene Generation. Wo wenig ist, bietet das Völkische oft Ersatz - und der stete Argwohn über das System. Zumindest Letzteres hat im Osten Tradition.

Im Wahlkampf punktet die AfD als Bürgerwutpartei von unten vor allem mit Anti-Corona-Parolen und gefällt sich mit Blick auf die Debatten in der Union in ihrer Rolle: der Lust am Untergang. Für die Bundestagswahl muss die zu erwartende schwierige Regierungsbildung in Sachsen-Anhalt für extreme Rechte kein Nachteil sein. So lässt sich leicht Zetern über die langsamen Mechanismen der Demokratie. Doch birgt der Erfolg in Magdeburg auch Risiken für die AfD. Der Triumph des rechtsextremen Flügel wird Parteichef Jörg Meuthen weiter schwächen. Die AfD droht auch ihre letzte bürgerliche Fassade zu verlieren. So geht es am Sonntag um mehr als nur eine Landtagswahl.

Die anderen Parteien

FDP – Rückkehr, nicht nur im Stammland: Die FDP darf mit einer Rückkehr in den Landtag rechnen. Schließlich ist Sachsen-Anhalt Stammland. Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher kommt aus Halle. Von diesem Bonus konnte die Partei nach der Wende nur kurz zehren. Jetzt profitiert sie – ein wenig vom Anti-Corona-Kurs der Berliner Führung, mehr aber noch vom schwächelnden Armin Laschet. Dessen mangelnde Autorität weckt die Lust nach bürgerlichen Alternativen. Die Liberalen sind zurück – nicht nur in Sachsen-Anhalt. Das bietet auch neue Koalitionsmöglichkeiten, weit über den Osten hinaus.

Grün - schwach im Osten: Die Grünen haben es im Osten Deutschlands traditionell schwer. Zwar regieren sie in Sachsen-Anhalt wie auch in Thüringen und Sachsen mit, doch fehlen jenseits von Dresden, Leipzig, Jena und Halle urbane Zentren und ein postmaterialistisches Milieu. So bleiben die Grünen farblos im Osten. Dabei könnte das Erstarken der AfD gerade ihnen eine neue Chance bieten. So sehr die autoritätsgläubige Ost-CDU mit der Bürgerrechtspartei fremdelt, eine demokratische Allianz gegen rechts könnte dem Bündnis ein Fundament geben. Auch für andere Vorhaben wie der Klimawende. Der E-Autobauer Tesla vor den Toren Berlins, VW mit Elektrowagen in Zwickau. Der Osten Deutschlands profitiert längst vom Umbau der Industrie. Doch lässt sich das nur schwer vermitteln. Außerhalb der Städte kann Grün im Osten für die Bundestagswahl wenig erhoffen.

SPD – Folgen eines historischen Fehlers: Die SPD büßt im Osten für eine schwere Fehlentscheidung. Nach der Wende wurde ehemaligen SED-Mitgliedern die Aufnahme verwehrt. Viele Reformer blieben heimatlos oder gleich in der Linken. Die SPD leidet darunter bis heute. Acht Jahre konnte die Partei in Magdeburg regieren – toleriert von der Linken. Der Union bot dies Stoff für die Rote-Socken-Kampagne. Die SPD aber konnte sich nicht konsolidieren. Ihr droht ein historisch schlechtes Wahlergebnis. Kein Rückenwind aus Ost für Olaf Schlolz im Bundestagswahlkampf.

Linke – langsamer Abstieg: „Nehmt den Wessis das Kommando“, solche T-Shirts hat die Linkspartei im Osten mitunter im Angebot. Die einstige Regionalpartei Ost ist längst angekommen im Westen. In Thüringen stellt der aus Hessen zugewanderte Ex-Gewerkschafter Bodo Ramelow sogar den Regierungschef. Andernorts im Osten ist es schwerer. Unten tendiert mancher nach rechts zur AfD. Auch deshalb entdeckt Sahra Wagenknecht die Nation wieder. Hinzu kommt: Die alten Anhänger sterben langsam, vielen Jungen fehlt die Machtperspektive. Nicht nur in Sachsen-Anhalt. Im Osten wäre die Partei bereit zu regieren, im Westen sehen die Versprengten aus der einstigen WASG das anders. Sieht nicht gut aus für die Bundestagswahl im Herbst – und für ein Linksbündnis im Bund.