Es ist fast schon wieder eine vergessene Krise.Nach massiven Protesten gegen die bulgarische Regierung im vorigen Sommer musste der seit 2009 fast durchregierende Premier Bojko Borissow zurücktreten. Diesen Sonntag werden die Karten neu gemischt.  Gute Chancen bei der Parlamentswahl werden den Sozialisten, den ehemaligen Kommunisten, eingeräumt. Die besten Karten hat nach jüngsten Umfragen aber nach wie vor nur einer: Langzeitpremier Borissow. Er ist ein hemdsärmeliger Typ, Zigarrenfan, Karate-Meister mit schwarzem Gürtel, Feuerwehrmann und Polizeichef. Und er war Leibwächter Todor Schiwkows, des zähesten Diktators Osteuropas, der Bulgarien drei Jahrzehnte im kommunistischen Würgegriff hielt.

Nach der Wende gründete Borissow eine Personenschutzfirma und wurde 2005 Bürgermeister von Sofia. Er bildete 2006 die heutige konservative Regierungspartei GERB und wurde 2009 zum ersten Mal Regierungschef. Seine Ziele formulierte er damals so: "Das Vertrauen Brüssels in Bulgarien wiederherzustellen. Bulgarien aus den negativen Listen und Berichten als das korrupteste und ärmste Land herauszunehmen. Bekämpfung von Verbrechen und Korruption." Ist ihm nicht gelungen.

Laut Transparency International ist Bulgarien das korrupteste Land in der EU und belegt auch in Sachen Pressefreiheit EU-weit den letzten Platz. Bulgarien rangiert mit einer Impfquote von 4,9 Prozent seiner Bevölkerung auch abgeschlagen auf dem letzten Platz des europäischen Impfrankings. 

"Alles in der Hand der ehemaligen Nomenklatura"

Schriftsteller Ilija Trojanow, ein gebürtiger Bulgare, erklärte uns einmal im Interview: "Borissow oder ein anderer, völlig egal! Es ist nicht wesentlich, wer in Bulgarien an der Macht ist: Nur Theater! Es ist alles in der Hand der ehemaligen Nomenklatura, der heutigen Oligarchie." Und die  Rückkehr in die alten Systeme Kleptokratie und Nepotismus werde Jahrzehnte nach der Wende wieder schlimmer.

Politologe Parwan Simeonow vom Meinungsforschungsinstitut Gallup International nennt drei Hauptakteure, die bei der Wahl am Sonntag ausschlaggebend werden: das Coronavirus, die Regierungsproteste aus dem Sommer 2020 und die fehlende politische Alternative.