Bundeskanzlerin Angela Merkel hat etwas Bemerkenswertes getan: Sie hat einen Fehler eingestanden. In der heimischen Presse erntet sie dafür viel Respekt. Aber auch die Frage, was daraus folgt für das Regierungshandeln. So merkt die neobürgerlich-grüne „taz“ staatstragend an: „ Die unbestrittene Kernkompetenz der Kanzlerin ist es, Krisen managen zu können, mit guten Nerven den Überblick zu behalten und am Ende den Konsens zu formulieren. Merkel ist eine Meisterin des Machbaren – nein, sie war es. ... Ist es nicht souverän, Fehler korrigieren zu können? Diese Fähigkeit ist ein entscheidender Vorteil demokratischer Systeme gegenüber autoritären Regimen.

Grundsätzlich ja, in diesem Fall nicht. Denn das Publikum sieht vor allem, dass die Zauberin nicht mehr zaubern kann.“ Auch die rechtskonservative „Frankfurter Allgemeine Zeitung sieht vor allem die Kanzlerin geschwächt: „Merkels Bereitschaft, die Schuld für das Osterdebakel allein auf sich zu nehmen, könnte ihrem Ansehen nutzen, weil jeder weiß, dass es nicht ihre alleinige Schuld war. Der Opposition nahm sie damit den Wind aus den Segeln. Doch stärkt diese Episode auch nicht die Stellung des Kanzleramts als Kraftzentrum in dieser Krise. In diesem Jahr sitzt im Osternest neben dem Hasen eine Ente, die zunehmend lahmer wird.“

Die linksliberale „Frankfurter Rundschau“ wiederum besinnt sich auf den Souverän und mahnt Legitimation durch Verfahren an: „Natürlich ist es hilfreich, wenn sich Kanzlerin Angela Merkel für einen Fehler entschuldigt... Ein solches Verhalten sollte Teil einer demokratischen Debattenkultur sein. Nur leider wird damit der Eindruck nicht verwischt, dass das jüngste Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten alles andere als erfolgreich war...Es wäre also an der Zeit, die Debatten über die nächsten Schritte wieder in den Parlamenten zu führen und zu beschließen.“

Auch die ausländische Presse geht auf Merkels Kehrtwende ein. So notiert das „NRC Handelsblad“ in den Niederlanden auch einen wachsenden Unmut in Merkels eigenen Reihen: „Die Kritik kam von allen Seiten, vor allem aber aus Merkels Union. CSU-Innenminister Horst Seehofer kritisierte den Aufruf an die Kirchen, auf Feiertagsgottesdienste mit Gläubigen zu verzichten. Bundestagsabgeordnete merkten an, dass sie den Beschluss in ihrem Wahlkreis kaum mehr verteidigen können..... Merkels Entschuldigung kommt an einem Moment, an dem das Vertrauen in die Corona-Strategie der Regierung auf einen Tiefpunkt fällt. Und es bleibt offen, ob Merkels Entschuldigung neues Vertrauen schafft oder nur die tiefe Verunsicherung weiter bestärkt.“

In Frankreich wundert sich die liberale Zeitung „Le Monde“ über die handwerklichen Fehler der sonst auf Brüsseler Ebene gerne tunlichst auf Gründlichkeit dringenden Deutschen.   „Während die Feierlichkeit, mit der Merkel ihre Entschuldigung vortrug, alle überraschte, ist die Rücknahme der Entscheidung selbst keine Überraschung. Kritik kam von allen Seiten. Das Projekt ,Osterruhe‘ ist rechtlich schlecht gemacht und politisch riskant.“

Die Londoner „Financial Times“ wiederum legt in britischer Selbstgewissheit den Schwerpunkt auf die mittlerweile mäßige Corona-Bilanz Deutschlands: „Der Streit über die Maßnahmen kommt zu einer Zeit wachsenden Unmuts über das langsame Vorankommen beim Impfen und der Enthüllung, dass mehrere Abgeordnete aus Merkels Partei kräftigte Provisionen bei der Vermittlung von Corona-Masken kassiert haben. ... Ungeachtet der Rücknahme der Osterruhe bleibt die Tatsache, dass der Lockdown in Deutschland bis zum 18. April verlängert wurde.“ 

Die „Süddeutsche Zeitung“ wiederum zeigt sich bibelfest und deutet den Vorgang christologisch. „Angela Merkel, die Pfarrerstochter, hat acht Tage vor dem höchsten christlichen Fest, dem Osterfest, auf ebenso nüchterne wie historische Weise die Deutschen um Entschuldigung gebeten. Merkel sprach bei ihrem Schuldbekenntnis einen Satz, der in die Geschichtsbücher eingehen wird: 'Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler.' Die Kanzlerin hat damit Schwäche gezeigt - und Größe zugleich. Die, so sagt man, mächtigste Frau der Welt hat sich selbst erniedrigt, und zugleich dem Volk ihre menschliche Seite gezeigt, eine Seite der Fehlerhaftigkeit, die auch jeder, der nicht das Land regiert, in sich hat.“ Wer ohne Sünde, werfe den ersten Stein. Das freilich wäre das Ende aller Debatten. #end#