Der ARD-Tatort „Die Mafia ist unter uns“ im November, der Beginn des größten 'Ndrangheta-Prozesses in Kalabrien seit drei Jahrzehnten im Jänner, die Hinweise, dass sie sich die Mafia an der Pandemie bereichert. Die Schlaglichter auf die dunkle Seite der organisierten Kriminalität in Italien mit ihren Fangarmen in ganz Europa, die bis nach Lateinamerika reichen, sind gerade hell wie lange nicht.
Daran hat Laura Garavini einen maßgeblichen Anteil. Die 54-jährige Deutsch-Italienerin sitzt als Senatorin für alle Auslandsitaliener im Parlament in Rom und kämpft seit mehr anderthalb Jahrzehnten gegen das organisierte Verbrechen. Es war der 15. August 2007 als sie in Berlin im Radio von den Mafiamorden in Duisburg hörte, bei denen sechs Menschen vor einem italienischen Restaurant in der Stadt im Ruhrgebiet erschossen wurden. „Ich konnte nicht dulden, dass mitten in Europa dieselben 'ndranghetischen Methoden angewendet werden, die aus Kalabrien bekannt sind“, sagt Garavini. Sie wollte nicht dulden, dass man sagt: „Wo Italiener sind, ist auch immer die Mafia!“ Damals war sie Sozialarbeiterin und begann ihren Anti-Mafia-Kampf.
Erfahrungen aus Sizilien
Sie nahm Kontakt auf zur Initiative Addiopizzo, was übersetzt auf Deutsch soviel heißt wie „Auf Wiedersehen Schutzgeld“. Die Bewegung war drei Jahre zuvor in Sizilien von Studentinnen und Hausfrauen gegründet worden, die das Bedürfnis hatten, „Nein“ zu sagen.
Mit deren Erfahrung begann sie auch in Deutschland von Lokal zu Lokal zu gehen, die Gastronomen anzusprechen und mit Aufklebern eine Haltung zu signalisieren. Am Ende stand ein Abkommen: Keine aufgezwungenen Mitarbeiter einstellen, keinen Warenkaufzwang, kein Schutzgeld. Die Polizei war immer eingebunden. Garavani verbrachte ganze Nächte in den Restaurants mit den Wirten, weil es Angst gab „Das war nicht ohne“, sagt sie. Aber der Zusammenhalt und die Unterstützung der Polizei brachte am Ende einen ersten Erfolg im Kampf gegen die Ausbreitung der Mafia.
Der Tatort im November sei übrigens realistisch, betont sie. Er sei äußerst düster und brutal. Aber genauso sei es eben. Meist seien es, wie im Tatort beschrieben, auch die Frauen, die den Ausbruch aus der Familie wagen und damit den Behörden einen Hinweis geben. „Ob Frauen mutiger sind als Männer, weiß ich nicht. Aber Frauen sind sehr mutig“, sagt die ehemalige ORF-Korrespondentin Mathilde Schwabeneder, die über Frauen im Kampf gegen die Mafia ein Buch geschrieben hat. „Wenn Kronzeuginnen oder Kollaborateurinnen der Justiz sich entscheiden, mit ihrem Umfeld zu brechen, dann tun sie das wirklich mit aller Konsequenz.“ Meist hätten diese Frauen Kinder und diese seien der Antrieb für den Ausstieg, weil sie verhindern wollen, dass die Kinder in die Fußstapfen der Familie innerhalb der Mafia treten. Das bestätigt Garavini, die dem Buch Patin war.
Stete Aufmerksamkeit sei wichtig, sagt die Mafiajägerin. „Wenn die Aufmerksamkeit sinkt, nimmt die Gefahr wieder zu.“ Dann könne die Mafia im Hintergrund in Ruhe arbeiten. In Sizilien sei die Lage inzwischen besser als noch vor 15 Jahren. Dort habe die Zivilbevölkerung etwas bewegt. Aber allgemein könne man das nicht sagen in Italien. Während etwa die Cosa Nostra in Sizilien weitgehend zerschlagen sei, so Garavini, sie die Camorra aus Kampanien und Apulien noch immer erfolgreich. Noch mehr gelte das für die 'Ndrangheta. Gerade in der Krise blühe das Geschäft. „Sie bieten Kredite zu sehr hohen Zinsen an, wenn eine Firma in Schieflage gerät, um diese unter Druck später für kleines Geld aufzukaufen“, erzählt Garavini. Sie sehe die Gefahr, dass die Organisationen gestärkt aus der Krise hervorgehen würden. „Sie haben die Fähigkeit entwickelt, an öffentliche Aufträge heranzukommen und sie auszunutzen – auch international“, sagt die Senatorin.
Familiäre Strukturen
Die 'Ndranghete, die keine Mafiastruktur im klassischen Sinn ist, hat dabei mit arabischen Clans vieles gemeinsam, weil es ähnliche familiäre Muster gibt. „Das macht ihre Gefahr besonders groß im Vergleich zu anderen mafiösen Gruppierungen“, sagt Garavini. In Familien ist es nicht nur deutlich schwieriger, Kronzeugen zu gewinnen, sondern auch Deckleute einzuschleusen. „Aber hier spielen Frauen eine wichtige Rolle, deren Kinder spielen eine Schlüsselfunktion auf dem Weg zur Kronzeugin“, erklärt Garavini. „Zwei Frauen wurden erst vor kurzem traurigerweise erschossen.“ Es gäbe immer wieder Rückschläge im Kampf gegen die Clans mit ihren archaischen Strukturen. Aber es tue sich etwas, weil gerade junge Frauen nicht mehr in diesen Strukturen leben wollen. Daran ändere auch nichts, dass die Kinder der mafiösen Gruppen in bürgerliche Kreise vorgestoßen sind, Berufe wie Anwälte oder Ärzte erlernt haben. Der Grundsatz, dass Bildung Kriminalität tendenziell verringere, sei nur zum Teil richtig. „Wir sehen eine Verlagerung der Gruppen hin zu Finanzholdings“, sagt Schwabeneder. Aber immerhin geschehen weniger Morde. Kultur sei aber wichtig im Kampf gegen die Mafia. „Die Gruppen fischen nach jungen, ungebildeten Menschen“, ergänzt Garavini. Der Anteil der „weißen Mafia“ mit ihren illegalen Finanzgeschäften werde stärker, aber insgesamt nehme die gesellschaftliche Akzeptanz für den Anti-Mafia-Kampf in Italien zu, betont die Senatorin.
Ingo Hasewend