Es ist ein Jubiläum, aber es gibt nichts zu feiern. Das weiß auch Syriens Präsident. Kürzlich schlug Baschar al-Assad einen Verzicht auf Koch-Shows im Fernsehen vor, weil darin Zutaten genannt werden, die es in Syrien längst nicht mehr gibt. Zehn Jahre nach Beginn des Krieges in Syrien ist Assad so isoliert wie nie zuvor.
Das liegt nicht nur an der Corona-Infektion des 55-jährigen Staatschefs, der laut amtlicher Mitteilung wie seine ebenfalls infizierte Frau Asma milde Symptome hat und sich für zwei bis drei Wochen aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Die Abwesenheit wird ihm womöglich ganz recht sein, denn angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage in seinem Land wirkte Assad zuletzt nur noch hilflos. Doch aufgeben will er nicht, auch wenn es in seiner eigenen Anhängerschaft rumort. Experten plädieren deshalb für eine neue Syrien-Politik des Westens, die Assads Verbleib im Amt akzeptiert.
Eine Demonstration gegen Assad am 15. März 2011 in Damaskus gilt als Beginn des Aufstandes gegen den Diktator, der Syrien seit 2000 so autoritär regiert, wie sein Vater Hafiz al-Assad es vor ihm drei Jahrzehnte lang getan hatte. Der Arabische Frühling machte den Syrern Hoffnung auf einen Wandel in ihrem Land, doch Assad reagierte mit brutaler Härte. Damit entfachte er einen Bürgerkrieg, in dessen Verlauf er zeitweise vor der Niederlage stand und 2015 durch die Intervention Russlands gerettet wurde. Heute kontrolliert er wieder rund zwei Drittel des Staatsgebietes.
Fast eine halbe Million Menschen wurden seit 2011 getötet, jeder zweite der 22 Millionen Syrer ist innerhalb oder außerhalb des Landes zum Flüchtling geworden. Der Krieg, internationale Sanktionen und die Finanzkrise im benachbarten Libanon stürzten die Wirtschaft in eine tiefe Krise. Mehr als 80 Prozent der Syrer müssen mit weniger als 1,60 Euro am Tag auskommen und leben damit unter der Armutsgrenze der Weltbank. Die Angst vor einer Hungersnot geht um, weil die Preise für Grundnahrungsmittel laut der UNO innerhalb eines Jahres um 236 Prozent gestiegen sind. In diesem Jahr werden nach einer US-Schätzung rund 13,4 Millionen Syrern auf humanitäre Hilfe angewiesen sein, das sind über zwei Millionen Menschen mehr als 2020. Manche Frauen in Syrien verkaufen ihre Haare an Perückenmacher, um zumindest ein wenig Geld zu verdienen.
Stromausfälle
Assads Regime versucht, den Syrern Normalität vorzugaukeln. Das staatliche Stromunternehmen rate den Syrern wegen der häufigen Stromausfälle, während der Stoßzeiten auf Haartrockner zu verzichten, berichtete die Syrien-Expertin Elizabeth Tsurkov von der Denkfabrik Newlines Institute auf Twitter: Dabei könne sich kaum ein Syrer einen Föhn leisten. Manche Vertreter der Elite, darunter Verwandte des Präsidenten, protzen mit ihrem Reichtum, während Millionen von Syrern nicht wissen, wo die nächste Mahlzeit herkommen soll.
Vorgetäuschte Infektion?
In der Provinz Latakia am Mittelmeer, die Assads Machtbasis ist, wurden laut Medienberichten kürzlich mehrere Menschen festgenommen, weil sie die Regierung kritisiert hatten. Die Corona-Pandemie ist ein weiteres Problem, bei dem die Regierung versagt. Zwar suggerieren die offiziellen Zahlen, dass das Virus unter Kontrolle ist, doch die UNO schätzt, dass sich der Erreger im Land schnell ausbreitet. Assad ist inzwischen so unbeliebt, dass einige Beobachter annehmen, er habe seine Corona-Infektion vorgetäuscht, um Sympathie-Punkte zu sammeln: Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete unter Berufung auf regime-nahe Kreise in Damaskus, der Präsident ziele mit der Täuschung besonders auf die eigene Anhängerschaft.
Nächste Wahl
Trotzdem wackelt Assads Stuhl nicht. Er kontrolliert die Armee und die Geheimdienste, die jeden Widerstand im Keim ersticken. Zudem kann er sich auf die internationalen Partner Russland und Iran verlassen, die zwar keine großen Sympathien für den Präsidenten hegen, den Status quo aber der Unsicherheit eines Regimewechsels vorziehen. Für spätestens Mitte Mai plant Assad eine Präsidentenwahl, bei der er sich für weitere sieben Jahre im Amt bestätigen lassen will. Seine Regierung hat fünf Gesprächsrunden mit der Opposition scheitern lassen, in der unter Leitung der UNO über eine neue Verfassung für Syrien verhandelt werden sollte. Ob und wann es nach dem Ende der Gespräche Ende Jänner eine sechste Runde geben wird, ist völlig offen. Für eine Lösung bräuchte es wohl ein Wunder.
Angst vor Hungersnot
Das Scheitern des Versuchs, das Assad-Regime mit Hilfe internationaler Sanktionen zu stürzen, und die wachsende Gefahr einer Hungersnot lassen einige Experten über neue Wege in der Syrien-Politik nachdenken. Zu ihnen gehört der US-Diplomat Jeffrey Feltman, der als künftiger amerikanischer Syrien-Beauftragter gehandelt wird. Feltman und Hrair Balian von der Denkfabrik Carter Center schlagen vor, Assad einen schrittweisen Abbau der Sanktionen anzubieten, wenn er Hilfsorganisationen ungehindert arbeiten lässt und den Wiederaufbau von Schulen, Krankenhäusern und landwirtschaftlichen Betrieben vorantreibt. Auch die Freilassung politischer Gefangener könne so erreicht werden. Wenn sich Assads Regime querstelle, sollten die Sanktionen wieder greifen, schrieben Balian und Feltman in einer Analyse für die Denkfabrik Brookings Institution.
Abfinden
Der Plan würde den Westen verpflichten, auf das Ziel eines Regimewechsels in Damaskus zu verzichten und sich mit der bitteren Tatsache abzufinden, dass Assad an der Macht bleibt. Ob sich Damaskus auf ein solches Modell einlassen würde, ist ungewiss: Bisher lehnt Assad jedes Zugeständnis ab, wie Balian und Feltman einräumten. Doch nach zehn Jahren Krieg und Zerstörung sei es einen Versuch wert.