Zum Auftakt seiner viertägigen Irak-Reise hat Papst Franziskus die Bevölkerung des Krisenlandes Irak zu Frieden und "geschwisterlichem Zusammenleben" aufgefordert. Ein wirksamer Prozess des Wiederaufbaus sei nur möglich, wenn man sich trotz aller Unterschiede als "Mitglieder der einen Menschheitsfamilie" sehe, mahnte er laut Kathpress am Freitag in Bagdad. Es sei "genug der Gewalt, des Extremismus, der Gruppenbildungen und der Intoleranz", betonte Franziskus.
"Die Waffen sollen schweigen", forderte der Papst. In der Rede vor Vertretern aus Politik und Zivilgesellschaft im Präsidentenpalast würdigte das katholische Kirchenoberhaupt die Vielfalt des Irak. Er sprach von einer "Wiege der Zivilisation", die durch den gemeinsamen Stammvater Abraham Juden, Christen und Muslime eng miteinander verbinde. Die verschiedenen Religionen, Kulturen, Ethnien seien eine jahrtausendealte "wertvolle Ressource" - und kein Hindernis. Nicht zuletzt die Präsenz der Christen stelle ein "reiches Erbe" dar, das es zu bewahren gelte.
Harmonisches Zusammenleben funktioniere aber nicht ohne einen geduldigen und aufrichtigen Dialog, so der Papst. Dieser Prozess müsse "von Gerechtigkeit und der Achtung des Rechts" geschützt werden. Das sei keine leichte Aufgabe.
Papst Franziskus war um 13.58 Uhr Ortszeit (11.58 Uhr MEZ) mit einer Alitalia-Maschine auf dem Internationalen Flughafen in Bagdad eingetroffen.
"Ich freue mich sehr, die Reisen wieder aufnehmen zu können", sagte Franziskus vor Journalisten auf dem Flug nach Bagdad. Der Besuch, der vier Tage dauern wird, sei eine Pflicht gegenüber einem seit vielen Jahren geschundenen Land, betonte Franziskus.
Papst Franziskus ist das erste Oberhaupt der katholischen Kirche, das in das Krisenland reist. Für viele Mitglieder der leidgeplagten christlichen Gemeinde in dem überwiegend muslimischen Land erfüllt sich ein lang gehegter Wunsch. Wegen der Pandemie wirft die Reise aber auch Fragen auf: Denn der 84-jährige Franziskus will in der nordirakischen Stadt Erbil in einem Stadion eine Messe mit Tausenden Gläubigen feiern. Und die Zahl der Neuinfektionen steigt im Irak gerade wieder stark an.
Für Franziskus ist es die erste Auslandsreise seit Beginn der Pandemie vor mehr als einem Jahr. Nach seiner Ankunft in der Hauptstadt Bagdad traf er gleich Ministerpräsident Mustafa Al-Kadhimi.
Erst vor wenigen Wochen hatte ein Zitat Al-Kadhimis für positive Stimmung unter der christlichen Minderheit im Land geführt: "Der Irak wäre nicht der Irak ohne Christen", sagte der irakische Premierminister Ende Februar bei einem Treffen mit Vertretern der christlichen Kirchen. "Wir Iraker sind stark durch unsere kulturelle und religiöse Pluralität, und wir werden trotz finsterer Aktivitäten von Gruppen, die mit ihren Plänen unser wundervolles Land zu zerstören gescheitert sind, ein Symbol für Koexistenz, Toleranz und echte Staatsbürgerschaft bleiben", führte er weiter aus. Ausdrücklich hob Al-Kadhimi die Präsenz indigener christlicher Gemeinschaften im Irak seit apostolischen Zeiten hervor.
Schon im Juni 2020, kurz nach seinem Amtsantritt als Premierminister, drückte Al- Kadhimi bei einem Besuch in Mossul und der Provinz Ninive seine Besorgnis über den stillen Exodus aus, der die christlichen Gemeinschaften schwinden lässt.
Zum Treffen mit Staatschef Barham Salih wurde Papst Franziskus in den Präsidentenpalast chauffiert.
Nach den politischen Treffen standen für den 84-Jährigen Zusammenkünfte mit Vertretern der Zivilgesellschaft und der Ortskirche an.
Franziskus will innerhalb von knapp vier Tagen unterschiedliche Regionen des Landes besuchen. Zu den Höhepunkten gehört ein Treffen mit dem wichtigsten schiitischen Geistlichen des Irak, Großajatollah Ali al-Sistani. Auf dem Programm steht zudem eine interreligiöse Begegnung in der Ebene von Ur, aus der nach biblischer Überlieferung Abraham stammt. Im Norden will er die Stadt Mossul besuchen, früher wichtigste Hochburg der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Im nahegelegen Ort Karakosch trifft er sich ebenfalls mit Christen.
Wegen Verfolgung, Krieg und wirtschaftlicher Not ist die christliche Gemeinde des Irak mit einst mehr als einer Million Gläubigen in den vergangenen Jahrzehnten stark geschrumpft. Schätzungen gehen heute von 250.000 bis 400.000 Christen aus. Insgesamt hat das Land etwa 40 Millionen Einwohner. Viele Mitglieder der religiösen Minderheit hoffen seit langem auf einen Papstbesuch und sehen darin ein Hoffnungszeichen.
"Nicht enttäuschen"
Franziskus erklärte am Mittwoch bei seiner Generalaudienz, er habe sich lange gewünscht, die Menschen im Irak kennenzulernen, die so viel gelitten hätten. Er wolle sie nicht enttäuschen. "Die irakische Volk hat bereits auf Johannes Paul II. gewartet, dem die Reise verboten wurde. Man kann ein Volk nicht zum zweiten Mal enttäuschen."
Im Vorfeld der Reise gab es Kritik, weil der bereits geimpfte Papst den Irak mitten in der Pandemie besuchen will. Erst in dieser Woche stieg die Zahl der täglichen Neuinfektionen auf ein Rekordhoch. Auch die Sicherheitslage hat sich wieder verschärft. Im Jänner kam es in Bagdad zum einem der schwersten IS-Anschläge seit Jahren. Zudem feuern irantreue Schiitenmilizen immer wieder Raketen auf die stationierte US-Armee ab, um deren Abzug aus dem Irak zu erreichen.
Wie bei früheren Reisen soll der Dialog mit anderen Religionen im Zentrum stehen. Franziskus sagte vor dem Abflug, er wolle zusammen mit Brüdern und Schwestern beten, die andere religiöse Bräuche hätten - im Zeichen von Abraham, der Muslime, Juden und Christen in einer Familie vereine. Der Papst hatte 2019 die Vereinigten Arabischen Emirate besucht und dabei auch den hohen religiösen Vertreter des sunnitischen Islam, Großimam Ahmed al-Tajjib, getroffen.