Die graue Silhouette der USS Pearl Harbor, ein sogenanntes Docklandungsschiff der amerikanischen Navy, taucht langsam am Horizont auf. Die V-22 Osprey, ein Kipprotor Wandelflugzeug, halb Helikopter, halb Propellermaschine, nähert sich und umkreist das vor der Küste Südkaliforniens kreuzende Schiff, bevor sie, durchgeschüttelt von Luftpolstern, langsam am Achterdeck der Pearl Harbor niedergeht.
Die See ist glatt. Dennoch spürt man den Wellengang, der das Schiff hin und her schaukeln lässt. Der Lärm der Rotoren ist laut. So laut, dass beim Aussteigen nur mit Handzeichen kommuniziert werden kann.
Die V-22 verweilt nicht lange. Nach nur zehn Minuten auf Deck hebt sie wieder ab. Einige Minuten danach landet die nächste Maschine des gleichen Typs. Hohe Offiziere des amerikanischen Marinekorps (den „U.S. Marines“), der Navy und der Marineinfanterie der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte steigen aus. Durch den Lautsprecher ertönt ein Pfeifton, das traditionelle Begrüßungsritual in der Navy, das signalisiert, dass hoher Besuch an Bord ist. Die Offiziere verschwinden im Bauch des Schiffes und werden zur Offiziersmesse geleitet. Dort besprechen sie die letzten Details für eine Landungsübung, die zwei Tage später stattfinden soll.
"Die Machtbalance ist in Veränderung"
Mehr als 300 Marineinfanteristen der neuen amphibischen rapiden Einsatzbrigade der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte proben zusammen mit Hunderten amerikanischen Marines und Schiffen der Navy entlang der Küste Südkaliforniens den Ernstfall.
„Das Sicherheitsumfeld Japans verschlechtert sich und die Machtbalance in Nachbarländern ist in Veränderung“, meint der Chef der japanischen Einsatzbrigade, Generalmajor Takanori Hirata, lapidar. „Das Verteidigen von Inseln wird mehr und mehr zur Schlüsselaufgabe.“ Gemeint sind Scharmützel mit China im Ostchinesischen Meer. Dennoch ziele die Übung auf kein bestimmtes Land ab, so Hirata.
Die Symbolik des gemeinsamen Auftretens von amerikanischen und japanischen Soldaten und Matrosen ist aber unübersehbar – allein durch den Einsatz der USS Pearl Harbor.
Das Schiff trägt den Namen eines amerikanischen Marinestützpunkts auf Hawaii, der Ziel eines japanischen Überraschungsangriffs am 7. Dezember 1941 war und für die USA den Beginn des Zweiten Weltkrieges bedeutete. Vor 75 Jahren, im Februar 1945, hissten US Marines nach verlustreichen Kämpfen auf der japanischen Insel Iwo Jima dann die amerikanische Flagge. Das ikonische Bild ging um die Welt, wurde später Vorbild für ein Denkmal in Washington D. C. und gilt als Symbol des amerikanischen Patriotismus. Heute „kämpfen“ die Feinde von einst Seite an Seite.
Die Übung beginnt. Ein Angriff auf die Stadt und der Häuserkampf wird geprobt. Die V-22 verschwindet hinter einem grasbewachsenen Hügel. Nach 30 Minuten tauchen die ersten japanischen Marineinfanteristen auf der Anhöhe, von der aus man ein kleines Containerdorf überblicken kann, auf. Das Dorf sperrt den Weg ins „Snake Valley“ ab, dem Schlangental, bekannt unter den Marines für die vielen Klapperschlangen, die in den grasbewachsenen Hügeln Unterschlupf finden.
Angriff aus der falschen Richtung
Vom Dach eines dreistöckigen Containerhauses observiert Generalmajor Takanori Hirata die Operation – die gerade gehörig danebengeht. Die Japaner greifen von der falschen Richtung an und koordinieren die Attacke nicht gut. Die „Verteidiger“ des Dorfes, ebenfalls japanische Marineinfanteristen, haben leichtes Spiel, ihre Gegner „auszuschalten“. Marines, die den Angriff beobachten, schütteln ihre Köpfe. „Sie sind hier, um zu lernen, das sollte man nicht vergessen“, mein ein junger amerikanischer Leutnant diplomatisch. Hirata lässt den Angriff abblasen und von Neuem beginnen.
Hauptziel der Übung „Eiserne Faust“ ist es, das japanische Regiment auf den gleichen militärischen Standard wie das amerikanische Marinekorps zu bringen.
Die Marines sind stolz auf ihren Elitestatus unter den Marineinfanteristen anderer Länder. Gleichzeitig kämpfen sie gerade selbst mit ihrer neuen, eigentlich alten Rolle als sogenannte „amphibische Streitkraft“. Denn durch die Kriege in Afghanistan und im Irak verwandelte sich das Marinekorps in eine kleine U.S. Army, die hauptsächlich zur Aufstandsbekämpfung und als reguläre Landstreitmacht eingesetzt wird. Great Power Competition – „Großmacht Wettbewerb“ – heißt laut letzter Pentagon-Strategie das neue Gebot der Stunde euphemistisch. Mit anderen Worten, die Gegner der Zukunft werden Russland und China und deren reguläre Streitkräfte sein und keine Aufständischen im Irak oder den Bergen Afghanistans.
Für die Marines heißt dies, dass ihre zukünftige Aufgabe hauptsächlich daraus bestehen wird, die amerikanische Navy zu unterstützen und sich auf den Kampf an der Küste zu konzentrieren. „Nur die Army und Air Force kämpfen im Moment“, meint ein Marine fast mit Bedauern.
"Go! Go! Go!"
Die Landungsübung ist in vollem Gang. Schwimmfähige Panzerfahrzeuge des Typs AAV-7 nähern sich der Landungszone „Red Beach“. Drei Seemeilen vor der Küste kreuzt das Landungsschiff USS Portland. Wie riesige Seeschildkröten kriechen die Truppentransporter langsam an Land und bleiben am Strand stehen. Plötzlich schwingen die Stahltüren im Heck der AAV-7s auf und Marines stürmen hinaus. Nach einem kurzen Sammeln steigen sie die Sanddünen empor. Ein Teil der Kompanie sichert, der andere greift das am Rand des Strandes situierte Containerdorf an.
Befehle schallen durch die Luft: „Go, Go, Go!” und „Feuer verlagern!“, während sich die Marines langsam von Container zu Container durcharbeiten. Der Zeitplan ist eng. Nur zwei Stunden später sollen die Japaner mit ihren AAV-7s von der USS Pearl Harbor hier landen und ein Ziel im Inland angreifen.
Nachdem das Dorf gesichert wurde, ziehen die Marines nach und errichten einen Sicherheitsperimeter. Nicht zu früh, denn schon sieht man am Horizont neun schwarze Punkte vom Bauch der Pearl Harbor die Küste ansteuern. Die japanischen Marineinfanteristen sind unter den Marines bekannt für ihre exzellenten Fähigkeiten, was das Hantieren mit amphibischen Truppentransportern betrifft. Die japanischen AAV-7s wurden modernisiert. Die Technologie ist so geheim, dass Japaner den Marines den Zugang ins Innere der Transporter verweigern. Auch militärische Partnerschaften haben ihre Vertrauensgrenzen.
Die meiste Kommunikation zwischen Amerikaner und Japaner findet wegen der Sprachbarriere mit Handzeichen statt. Die japanischen AAV-7s landen etwas abseitiger als geplant. Unter dem strengen Auge amerikanischer und japanischer Offiziere, die jede Bewegung genau registrieren, korrigieren sie schnell.
Rüstungswettlauf der Marine-Einheiten
Landungsoperationen gelten als die vielleicht komplexesten Militärmanöver. Ihr Charakter hat sich nur gravierend verändert. Massenangriffe, wie man sie aus Kino-Blockbustern wie „Saving Private Ryan“ oder „Der Längste Tag“ kennt, gehören der Vergangenheit an. Bodengestützte ballistische Raketen und Marschflugkörper (China und Russland investieren massiv in Waffensysteme dieser Art) würde jede Flotte, die solch eine Operation wagt, schnell versenken. Die Zukunft läuft auf kleinere, zerstreute Verbände hin, die wie Spezialeinsatzkräfte verdeckt und ohne großes Aufsehen landen.
In Zukunft werden sie vor allem in Asien an Bedeutung zunehmen. Deshalb ist unter den Staaten bereits ein richtiger Rüstungswettlauf der Marineinfanterie-Einheiten angelaufen. China verdoppelt beispielsweise die Größe des eigenen Marinekorps. Bei einer Invasion Taiwans würde dem Korps eine wichtige militärische Rolle zukommen.