Italien drängt auf eine rasche Einigung der EU-Staaten in der Frage der Coronahilfen. "Es ist im Interesse aller Länder, bei einer Krise dieser Größenordnung schnell ein Abkommen zu finden, das die Zukunft ganz Europas garantiert. Denn hier geht es nicht um einzelne Länder. Wenn ein Land zusammenbricht, stürzen alle anderen", schrieb Italiens Außenminister Luigi di Maio am Dienstag auf Facebook.
Di Maio äußerte sich anlässlich eines Treffens der EU-Finanzminister, die um ein 500 Milliarden Euro schweres Hilfspaket rangen. Italien ist damit nicht zufrieden, weil keine europäischen Gemeinschaftsanleihen ("Coronabonds") vorgesehen sind.
"Die wichtigsten Autohersteller in Deutschland haben klar gesagt, dass es ohne die Komponenten der italienischen Fabriken für sie fast unmöglich sein wird, deutsche Autos herzustellen", schrieb Di Maio. "Es ist nur eines von vielen Beispielen, die zeigen, wie grundlegend unser Land für die Zukunft Europas und jedes Mitgliedstaats ist."
"Wir regieren Italien, wir haben genaue Verantwortung und Pflichten, von denen die erste darin besteht, unsere Bürger Sicherheit tu garantieren und ihren Familien eine würdige Zukunft zu sichern. Und das werden wir tun", betonte der Außenminister.
Schwierige Vorzeichen
Unter schwierigen Vorzeichen haben die EU-Finanzminister am Dienstag versucht, ein gemeinsames Rettungspaket gegen die Coronakrise zu schnüren. Frankreich, Italien, Spanien und andere Länder beharrten nämlich bei einer Videokonferenz auf den "Coronabonds", die für mehrere Länder wie Österreich ein rotes Tuch sind. Die Videokonferenz zog sich bis in den späten Abend.
Eurogruppen-Chef Mario Centeno unterbrach die am Nachmittag begonnenen Beratungen zeitweise, um neue Kompromissformeln zu finden. Der maltesische Finanzminister Edward Scicluna twitterte, die Marathon-Verhandlungen könnten bis Mittwoch in der Früh dauern. Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) hatte im Vorfeld der Sitzung versucht, Österreich aus dem Eck der Neinsager-Länder zu bringen. Zwar bekräftigte er sein Nein zu Eurobonds, signalisierte aber darüber hinaus Flexibilität.
Deutschland und Frankreich hatten sich in der Vorwoche auf ein aus drei Instrumenten bestehendes Hilfspaket verständigt. Demnach soll es Geld aus dem Eurorettungsschirm ESM und von der Europäischen Investitionsbank EIB geben, ergänzt um Kurzarbeiter-Hilfen. Der Streit um die "Coronabonds" getauften europäischen Gemeinschaftsanleihen sollte damit neutralisiert werden.
Centeno warb im Vorfeld der Videokonferenz für den Vorschlag. Auf dem Tisch liege "das umfangreichste und ehrgeizigste Paket, das jemals von der Eurogruppe vorbereitet wurde", sagte er. "Wir alle wissen, dass dies nicht die Zeit für Business-as-usual-Politik ist. Wir müssen unseren Bürgern zeigen, dass Europa sie schützt."
Centeno bestätigte ein dreiteiliges Paket gegen die unmittelbaren Folgen der Krise in Höhe von rund einer halben Billion Euro. Dabei geht es um Darlehen des Euro-Rettungsfonds ESM von bis zu 240 Milliarden Euro, EIB-Kredite von bis zu 200 Milliarden Euro für Firmen und den Vorschlag der EU-Kommission, Kurzarbeit mit bis zu 100 Milliarden Euro zu unterstützen.
Laut dem Eurogruppen-Chef gab es am Wochenende breite Unterstützung für die drei Instrumente. Im Vorfeld der Videokonferenz brandete aber wieder der Streit um die Coronabonds auf, der schon die Staats- und Regierungschefs entzweit hatte. Sie konnten sich Ende März nicht in der Frage gemeinsamer Schuldenaufnahme einigen und reichten das Thema an ihre Finanzminister weite.
Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte beharrte auf diesen gemeinsamen Schuldentiteln und nannte Kredite des Eurorettungsschirms ESM "absolut unzureichend". Conte sagte am Montagabend: "ESM nein, Eurobonds definitiv ja. Der ESM ist absolut unzureichend, Eurobonds hingegen sind die Lösung, eine seriöse, effektive, angemessene Reaktion auf den Notfall."
Deutschland, Österreich, die Niederlande und weitere Staaten sind jedoch gegen die Gemeinschaftsanleihen. Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) sagte im Vorfeld der Eurogruppen-Videokonferenz vor Journalisten, dass es keine Eurobonds "im klassischen Sinn" geben werde. Österreich wolle "innerhalb der bestehenden Instrumente bleiben". Bei der Anwendung dieser solle "höchstmögliche Flexibilität an den Tag gelegt" werden. Gesprächsbereitschaft signalisierte Blümel etwa hinsichtlich der Möglichkeit, dass auf Basis von Garantien der EU-Länder zusätzliches Geld auf den Kapitalmärkten aufgenommen werde.
Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz erwähnte die Coronabonds im Vorfeld der Sitzung nicht. In einem Videostatement sagte er nur vage, für die Zeit nach der Pandemie müssten sich die EU-Länder verpflichten, den "Wiederaufbau gemeinsam und solidarisch zustande" zu bringen. Konkret umriss Scholz nur die drei anderen Vorschläge und sagte: "Ich hoffe sehr, das wir das heute zustande bringen, aber es ist natürlich eine große Aufgabe."
Der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra, der Eurobonds ebenfalls strikt ablehnt, beharrte aber auch beim ESM auf einer strengeren Linie. So forderte er, Kreditlinien des ESM mit Reformauflagen zu verbinden, etwa Reformen im Sozialsystem und die Erhöhung des Pensionsalters. Hoekstra stellte auch eine Einigung auf das Kurzarbeiter-Programm "Sure" infrage.
Der französische Finanzminister Bruno Le Maire legte die Latte für eine Einigung mit seinen EU-Kollegen ebenfalls hoch. Er hatte als Kompromiss in der Eurobond-Frage vorgeschlagen, einen neuen Rettungsfonds zu gründen und diesen gemeinsame Anleihen herausgeben zu lassen.
Einigen sich die Finanzminister, könnte noch vor Ostern erneut ein Gipfel der Staats- und Regierungschefs abgehalten werden, um einen Deal zu Corona-Hilfen zu bestätigen. Als wahrscheinlicher Tag gilt laut EU-Vertretern der Donnerstag. Scheitert die Finanzministerkonferenz, geht der Streit nach Ostern weiter.
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) relativierte indes die Unterstützung seiner Partei für Eurobonds. "Ich bin eben für Bonds unter gemeinsamen Regeln", forderte er in der "Tiroler Tageszeitung" (Mittwochsausgabe) eine Reform des "maroden" italienischen Bankensystems, in dem "ein Riesenvermögen von Superreichen geparkt" sei. "Ich sehe nicht ein, dass Arbeiter aus Österreich oder Lettland, dieses marode System ohne Verbesserungsaussicht mitfinanzieren soll", sagte Kogler, der ähnlich wie seit Tagen auch Blümel auf andere EU-Instrumente wie den ESM, die EIB oder die EZB zur Wiederaufbau-Finanzierung verwies.
Führende Europaparlamentarier bekräftigten indes ihre Forderung nach Coronabonds. "Wir brauchen Corona-Anleihen zur Finanzierung der gemeinsamen Aufbauhilfe", teilte der ÖVP-EU-Abgeordnete Othmar Karas am Dienstag in einer Aussendung mit. "Wer ein solches, solidarisches Finanzinstrument ablehnt, schadet Europa und damit sich selbst". Dies gelte "vor allem für Exporteuropameister wie Österreich und Deutschland". Karas sagte, dass solche Anleihen auch mit dem EU-Vertrag vereinbar seien, wenn sie "einmalig, zweckgebunden und zeitlich befristet" begeben werden. SPÖ-Delegationsleiterin Evelyn Regner forderte ebenfalls Coronabonds als Ergänzung zum geplanten Paket. Damit das Drei-Säulen-Modell "aufhört zu wackeln, braucht es ein viertes Standbein", so Regner.