Griechische Sicherheitskräfte haben am Montag abermals Tränengas und Blendgranaten gegen Flüchtlinge und Migranten an der türkisch-griechischen Grenze eingesetzt. Hunderte hatten erneut versucht, die Grenze bei Kastanies zu passieren und nach Griechenland und damit in die EU zu gelangen.

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex entschloss sich zu einem Soforteinsatz. Es sei Teil des Frontex-Mandates, einen Mitgliedsstaat, der mit einer „außergewöhnlichen Situation“ konfrontiert ist und „dringend“ Hilfe fordere, zu unterstützen, sagte Frontex-Chef Fabrice Leggeri. In einer internen Lageeinschätzung, aus der die „Welt“ zitierte, erwartet Frontex in den nächsten Tagen eine Zuspitzung der Lage. Es werde „schwierig sein, den massiven Strom von Menschen, die sich auf die Reise gemacht haben, zu stoppen“, zitierte die Zeitung aus dem Bericht.

© APA/AFP/BULENT KILIC

Die Bilder aus dem türkisch-griechischen Grenzgebiet lassen die Anrainer der sogenannten Balkanroute eine Neuauflage der Flüchtlingskrise von 2015/2016 fürchten. Noch sei nicht abzusehen, in welche Richtung sich die Krise entwickle, sagt Serbiens Staatschef Aleksandar Vucic: „Aber wenn jemand wirklich glauben sollte, aus Serbien einen Parkplatz für 100.000 oder 200.000 Migranten machen zu können, ist er im falschen Film. Wir werden unsere Interessen schützen – und das nicht zulassen.“
Nicht nur Griechenland ist mit der Unterbringung der steigenden Zahl von Flüchtlingen schon jetzt völlig überfordert. Auf jeweils rund 8000 wird derzeit beispielsweise die Zahl der Transitmigranten in Serbien und Bosnien geschätzt.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will Millionen Migranten nach Europa ziehen lassen. „Hunderttausende haben die Grenze bereits überquert, bald werden es Millionen sein“, sagte Erdogan am Montag in einer vom Fernsehen übertragenen Rede. „Die Tore sind jetzt geöffnet“, so der Staatschef. Nun müsse Europa „seinen Teil der Last tragen“. Erdogan sagte, EU-Politiker hätten ihm ein Gipfeltreffen „mit vier oder fünf Teilnehmern“ vorgeschlagen. Weitere Einzelheiten nannte er dazu nicht.
Aber meint es Erdogan überhaupt ernst oder pokert er nur? Svedlad Hoffman von der Direktion der bosnischen Grenzpolizei glaubt, dass dessen „bombastische Drohungen“ nur tagespolitischen Zielen zur Ablenkung der heimischen Kritik an dem Kriegsgang in Syrien dienten. Zwar sei mit den wärmeren Temperaturen im Frühjahr sicher mit noch mehr Grenzgängern auf der Balkanroute, aber keinesfalls mit Millionen Flüchtlingen zu rechnen.

Griechenland reagiert auf den dennoch wachsenden Migrationsdruck aus der Türkei mit der Verstärkung seiner Polizeikräfte und Militärmanövern im Grenzgebiet. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis will heute in Begleitung von EU-Ratspräsident Charles Michel, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem Präsidenten des EU-Parlaments David Sassoli die Grenzregion besuchen. Der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas kündigte nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates neue Maßnahmen zum Schutz der Grenzen an. Alle Sicherheitskräfte wurden in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Die griechischen Streitkräfte begannen am Montag Manöver an der Landgrenze zur Türkei und in der östlichen Ägäis. Bei der Übung werde mit scharfer Munition geschossen, teilte das Verteidigungsministerium mit.

An der 212 Kilometer langen Landgrenze zur Türkei, die in Nordgriechenland größtenteils dem Grenzfluss Evros (türkisch: Meric) folgt, haben die Sicherheitskräfte bisher dem Ansturm standhalten können. Experten rechnen damit, dass sich der Druck von dort in den nächsten Tagen auf die Ägäisinseln verlagern wird. Seit Sonntag trafen dort über 1000 Migranten ein. Das war die höchste Zahl in einem solchen Zeitraum seit der großen Flüchtlingskrise von 2015.
Nach der Schließung der Balkanroute und dem Inkrafttreten des Flüchtlingspakts der EU mit der Türkei im März 2016 gingen die Zahlen stark zurück. Inzwischen steigen sie wieder – im Vorjahr um fast 85 Prozent gegenüber 2018 und seit Anfang Jänner um rund 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr.