"Nein“, sagt Milos Dimitrijevic knapp, albanischstämmige Freunde habe er keine. Der Kontakt zu Albanern, mit denen der Serbe seine Heimat, den Kosovo, teilt, beschränkt sich auf Geschäftliches. Dimitrijevic ist Vize-Bürgermeister der Gemeinde Gracanica mit ihrem berühmten serbisch-orthodoxen Kloster.

Hier, am Rande der Hauptstadt Prishtina, sind 92 Prozent der Bürger Serben. Bildungs- und Gesundheitswesen werden in den mehrheitlich serbischen Gemeinden von Belgrad aus finanziert und bestimmt. Albanisch wird dort an den Schulen nicht gelehrt, obwohl der Anteil der Albaner im Kosovo bei rund 90 Prozent liegen dürfte. „Die Sprache ist das geringste Problem“, sagt Dimitrijevic. Was genau er damit meint, sagt er nicht.

Milos Dimitrijevic (links) mit seinen Kollegen in Gracanica
Milos Dimitrijevic (links) mit seinen Kollegen in Gracanica © Matthias Reif

20 Jahre nach Ende des Krieges zwischen Kosovo-Albanern und Serben sind die Erinnerungen an das Leid von damals noch immer lebendig und das Land tritt politisch auf der Stelle. Am 20. Juni 1999 endete der Konflikt mit dem Einmarsch der Nato-Truppe KFOR (Kosovo Force). Nach dem Massaker von Srebrenica, bei dem 1995 von bosnischen Serben 5000 muslimische Bosniaken ermordet wurden, wollte die internationale Staatengemeinschaft einen weiteren Genozid im Kosovo um jeden Preis verhindern. Serbenführer Slobodan Milosevic hatte lange auf die politische Ausbeutung der Kosovofrage gesetzt und mit seinen großserbischen Fantasien Nationalismen angeheizt.

Als erste serbische Massaker in albanischen Dörfern ruchbar wurden, entschloss der Westen sich zur Intervention. Rund 10.500 Einsätze flog das internationale Militärbündnis – ohne UN-Mandat – bis zum 10. Juni 1999 und zwang Serbien damit letztlich in die Knie. Mit österreichischer Beteiligung sollte die KFOR nun den Frieden sichern und den Wiederaufbau der zerstörten, abtrünnigen serbischen Provinz unter der Ägide der Vereinten Nationen gewährleisten. Viele der Hunderttausenden zuvor geflüchteten Kosovo-Albaner kehrten aus Albanien und Mazedonien zurück, während rund 250.000 Serben den Kosovo verließen.

Kaum Perspektiven

Wenige sind bis zurückgekehrt, auch wegen der mangelnden Perspektiven. Die Arbeitslosenquote liegt bei 37 Prozent, das Lohnniveau gehört zu den niedrigsten in Europa. Korruption und Schikanen zwischen Serbien und dem Kosovo machen den winzigen Vielvölkerstaat für ausländische Investoren unattraktiv. Im Jahr 2008 erklärte der Kosovo seine Unabhängigkeit, die von Serbien bis heute nicht anerkannt wird. Für viele Serben ist der Kosovo nach wie vor heiliger Boden, die Wiege des Serbentums, wo in der Schlacht auf dem Amselfeld 1389 das mittelalterliche serbische Königtum, so der Mythos, beim Versuch, das Abendland vor den Türken zu retten, untergegangen sei.

Deshalb vermag Belgrad bis heute nicht die abtrünnige Provinz aufgeben. Deshalb bleibt das Thema so hochemotional besetzt. Deshalb würde ein im Vorjahr ins Spiel gebrachter Gebietstausch zwischen Serben und Kosovoalbanern nichts lösen. Als der Kosovo im Vorjahr die Mitgliedschaft bei Interpol anstrebte, torpedierte Belgrad diese. Im Gegenzug erließ die kosovarische Regierung Strafzölle gegen Serbien. Premier Ramush Haradinaj bezeichnete dies bei einem Gespräch mit österreichischen Journalisten dieser Tage als „letzten Ausweg zur Verteidigung“. Denn während der Stillstand in den bilateralen Gesprächen nur dem Kosovo schade, könne man mit den Zöllen auch Serbien treffen und somit womöglich zur Wiederaufnahme der Gespräche bewegen.

Premier Ramush Haradinaj
Premier Ramush Haradinaj © Matthias Reif

Für Dimitrijevic in Gracanica steht fest: „Solange es die Zölle gibt, ist es für weitere Gespräche zu früh.“ Enis sieht das anders. Der 31-jährige Kosovo-Albaner, der seinen Familiennamen nicht nennen will, hat viele Jahre in der Schweiz gelebt, ehe er ausgewiesen wurde. In ausgezeichnetem Deutsch mit Schweizer Akzent sagt er:  „Die Serben haben im Kosovo viele Rechte. Die albanische Minderheit im südserbischen Presevo-Tal nicht.“ Seiner Meinung nach muss sich Serbien bewegen, ehe man wieder in einen Dialog treten könne. Wie Dimitrijevic kennt auch Enis nur wenige Leute der ehemals gegnerischen Seite, wenngleich er beteuert, keine Probleme mit seinen serbischen Landsleuten zu haben. Deren Sprache spricht er nicht, er hat in der Schule nur Albanisch gelernt.

Aber wie viele Kosovaren der jüngeren Generationen hat Enis nicht vor hierzubleiben. Nicht unter den gegenwärtigen Bedingungen. Doch weil der Kosovo als einziges Land am Balkan keine Visa-Freiheit genießt, bleibt ihm nichts anderes übrig – abgesehen von der Ausreise auf illegalen Wegen. Dass die Visa-Liberalisierung ein großes Thema ist, weiß auch Premier Haradinaj. Er glaubt, dass seine Landsleute noch heuer die ersehnte visafreie Einreise in die EU-Staaten zugestanden bekommen.

In der EU hält man das für weniger wahrscheinlich. So schloss der österreichische EU-Kommissar Johannes Hahn im Vorjahr eine Visa-Liberalisierung vor 2020. Haradinaj bleibt dennoch optimistisch, denn die Situation des Kosovo habe nichts mit Albanien zu tun. Enis jedenfalls misstraut seinem Premierminster: „Das haben wir schon oft gehört, verändert hat sich bisher aber nichts.“

Diese Reportage entstand im Rahmen einer Reise, die von der Republik Kosovo organisiert wurde.