Estland hat eine neue Regierung. Fünf Tage nach ihrer Ernennung leisteten die Minister des umstrittenen Dreierbündnisses von Regierungschef Jüri Ratas am Montag im Parlament in Tallinn den Amtseid. Erstmals wird damit in dem baltischen EU- und NATO-Land im Nordosten Europas auch eine zuwanderungs- und EU-kritische Partei Regierungsverantwortung übernehmen.

Ratas stützt sich auf eine Koalition seiner linksgerichteten Zentrumspartei, die in Europa dem Lager der Liberalen zugerechnet wird, mit der rechtspopulistischen Estnischen Konservativen Volkspartei (EKRE) sowie der konservativen Partei Isamaa. Die drei Parteien kommen in der Volksvertretung Riigikogu auf eine Mehrheit von 56 der 101 Sitze und übernehmen jeweils fünf Kabinettressorts. Die wirtschaftsliberale Reformpartei, die bei der Wahl am 3. März die meisten Stimmen erhalten hatte, muss dagegen in die Opposition.

Die Regierungsbeteiligung von EKRE - entgegen Ratas' anderslautender Ankündigung vor der Wahl - sorgte für viel Kritik. Die Protestpartei konnte bei der Wahl mit ihrer radikalen Rhetorik punkten und sorgte während der Koalitionsgespräche mit Ausfällen gegen Frauenärzte und Medien sowie der Androhung von Unruhen für Aufsehen. Mit dem Finanz- und Innenministerium besetzt EKRE nun zwei Schlüsselressorts.

Rechtspopulisten an den Schalthebeln der Macht

In einen Topf werfen lassen sich die Parteien am rechten Rand nicht. Werden einige Parteien wie die französische Rassemblement National (RN) von den Mitbewerbern in ihren Ländern geächtet, sind andere wie die Dänische Volkspartei (DF), die "Finnen" oder die Lega schon vor Jahren als Mehrheitsbeschaffer für konservative Parteien im politischen Mainstream gelandet. Einige wie die niederländische PVV sind mittlerweile schon wieder auf dem absteigenden Ast, herausgefordert von jüngeren rechtspopulistischen Bewegungen. In zahlreichen EU-Staaten, darunter Italien, Österreich und die Slowakei, sind sie an der Regierung beteiligt oder stützen diese.