Emmanuel Macron hatte am Montag in den frühen Abendstunden anderes vor. Er wollte um 20 Uhr, also pünktlich zum Start der Hauptnachrichten, einen öffentlichen Bußgang absolvieren. In einer Fernsehansprache wollte der durch die Gelbwesten-Proteste schwer in Bedrängnis geratene Staatspräsident den Franzosen zu verstehen geben, er könne den Unmut, den große Bevölkerungsschichten erfasst hat, nachvollziehen und sei bereit, daraus Konsequenzen zu ziehe.

Statt im abgeschiedenen, brokatgesäumten Elysée einen Staatschef nach dem anderen zu empfangen, war Macron im Jänner zu einer „Zuhör-Tour“ quer durch die Provinz aufgebrochen, um mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Zu besten Sendezeit wollte Macron am Montag die Senkung der Einkommenssteuer, Erleichertungen für Bezieher niedriger Pensionen oder auch die Abschaffung der Eliteschule ENA verkünden.

Hoffnung auf politische Wiederaufstehung

Doch der Großbrand von Notre Dame kam dazwischen. Dazwischen? Rechtzeitig und instinktsicher sagte er den TV-Auftritt ab, gegen Mitternacht stapfte er zur glosenden Kathedrale und sprach den völlig erschütterten Franzosen Mut zu. Die Notre Dame ist Frankreichs Nationalheiligtum, und Macron kündigte am Montag sowie am Dienstag in einer weiteren Ansprache den Wiederaufbau der Kathedrale an.

Auffällig war, dass Macron am Dienstag die Einigkeit beschwor, vor allem die Fähigkeit des Landes, Rückschläge zu überwinden, Schicksalsschläge zu meistern, sich neu zu sortieren, neue Wege zu beschreiten. Das war wohl auch an die eigene Adresse gerichtet – gepaart mit der Hoffnung auf eine politische Wiederauferstehung, vielleicht im Windschatten der Notre Dame, der nach der Katastrophe zu neuem Glanz verholfen werden soll.