Acht Tage vor dem Brexit ist noch immer unklar, wie es weitergeht mit dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union. Die deutsche Bertelsmann-Stiftung hat nun untersucht, wie sich der Brexit auf die Einkommen in Europa auswirkt. Die Studie zeigt: Die Briten müssten die größten Einkommensverluste schultern. Aber auch in Ländern wie Deutschland kostet der Brexit Milliarden. Die USA oder China hingegen, könnten vom Austritt der Briten sogar profitieren.

"Ein Brexit würde den Handel mit Waren und Dienstleistungen verteuern, die Unsicherheit vergrößern", betont Dominic Ponattu, er ist Projektmanager der Bertelsmann-Stiftung für das Programm Europas Zukunft und mitverantwortlich für die Studie. Und weiter: "Das drückt Wettbewerb, Konsum und Investitionen – insbesondere bei einem ausbleibenden Abkommen. Die Europäer, ohne Großbritannien, müssten bei einem harten Brexit Einkommensverluste von 40 Milliarden Euro pro Jahr hinnehmen." Am härtesten würde nach dieser Studie ein solcher "No-Deal-Brexit" die Briten selbst treffen: Auf das Vereinigte Königreich würden Einkommensverluste von 57 Milliarden Euro pro Jahr und rund 900 Euro pro Einwohner zukommen. Die Deutschen müssten sich auf Einkommensverluste in Höhe von rund zehn Milliarden Euro pro Jahr und rund 115 Euro pro Person einstellen. Das wären nach Großbritannien die zweithöchsten Verluste in der EU.

EU-Vertrag würde Auswirkungen mildern

"Brüssel und London müssen alles tun, um den Ausstieg vertraglich zu regeln", kommentiert Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann-Stiftung, die Ergebnisse weiter. Für die Analyse haben Ponattu und der Ökonom Giordano Mion von der University of Sussex  anhand von Simulationsrechnungen und Auswertungen europäischer Handelsströme die Folgen eines Brexits prognostiziert. Die Studie liefert Ergebnisse für rund 300 Regionen in Europa, sagt der Studienleiter. Die Einkommensverluste seien als Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und Jahr angegeben.

Ein Brexit unter vertraglich geregelten Bedingungen, wie ihn die EU mit der britischen Regierung ausgehandelt hat, könnte die negativen Folgen stark abschwächen. Die Autoren zeigen, dass sich im Fall eines solchen weichen Brexit die Einkommensverluste für Deutschland im Vergleich zum harten Brexit auf fünf Milliarden halbieren könnte. In Großbritannien wären die Einbußen mit rund 32 Milliarden Euro ebenfalls erheblich geringer als bei einem harten Brexit, bei dem die Einbußen 57 Milliarden Euro umfassen würden. Die gesamte EU, ausgenommen Großbritannien, müsste bei einem weichen Brexit mit insgesamt rund 22 Milliarden Euro an jährlichen Einkommensverlusten rechnen. Bei einem harten Brexit wären es 40 Milliarden Euro.

London und der Süden Englands

Konkret wären europaweit die Regionen im Süden Englands die größten Verlierer des Brexits, egal in welcher Variante. Das läge an der räumlichen Nähe und den engen Handelsbeziehungen zum europäischen Festland. Am stärksten wäre London von einem harten Brexit betroffen. Hier würden die Einkommensverluste für alle Einwohner bei mehr als fünf Milliarden Euro pro Jahr liegen - pro-Kopf wären das rund 2.800 Euro.

Nach Großbritannien und Deutschland müssten Frankreich und Italien die größten Einkommensverluste schultern: Die Franzosen müssten sich auf fast acht Milliarden Euro und die Italiener auf vier Milliarden Euro an jährlichen Einkommensverlusten gefasst machen. Bezogen auf die Kosten pro Arbeitnehmer würde ein harter Brexit vor allem in Irland gravierende Folgen haben: Laut Autoren würde er die Iren 720 Euro pro Kopf und Jahr kosten – das sindrund 3,5 Milliarden insgesamt. Auch die Niederlande wären gemessen an der vergleichsweise geringen Einwohnerzahl mit insgesamt über drei Milliarden Euro an Einkommensverlusten stark betroffen.

Österreich nur wenig betroffen

Österreich wäre bei einem "hard Brexit" von den wirtschaftlichen Folgen deutlich weniger betroffen als andere EU-Länder. Nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung vom Donnerstag rechtzeitig zum EU-Brexit-Gipfel in Brüssel wurden die Konsequenzen eines sogenannten "no deal"-Szenarios analysiert. Demnach hätte Österreich beim Wohlstand nur 0,2 Prozent an Einbußen zu befürchten.

Bei der Produktivität würde das Minus sogar nur 0,062 Prozent betragen. In absoluten Zahlen der Einbußen pro Kopf sieht es anders aus. Statistisch gesehen würde jeder Österreicher 83 Euro verlieren. Das ist immerhin der elfthöchste Wert. Die größten Verluste pro Kopf - die Studienautoren sprechen von Einkommensverlusten - werden für Großbritannien (873 Euro), vor Irland (726 Euro) und Luxemburg (220 Euro) erwartet. "Die Einkommensverluste sind als Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und Jahr angegeben", heißt es auf der Homepage der Bertelsmann-Stiftung zur Erläuterung.

Insgesamt würde der Wohlstandsverlust für Österreich 724 Mio. Euro betragen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt von rund 386 Mrd. Euro im Jahr 2018.