Zu den Brexit-Abstimmungen im britischen Parlament schreiben internationale Zeitungen am Freitag:

"El Pais" (Madrid)

"Der Brexit ist schwer angeschlagen. Er liegt sogar im Sterben. Darauf deutet die - außerordentlich bedeutende und symbolische - Tatsache hin, dass das Parlament und die Regierung Großbritanniens nun beschlossen haben, dass sie bei den 27 einen Aufschub des Austritts aus der EU beantragen werden. Der Antrag ist symbolisch, weil man in London rund zwei Jahre nach Beginn des Prozesses überhaupt nicht vorwärtsgekommen ist und man bis zum Ende der Frist am 29. auch nicht vorwärtskommen wird. Und er ist bedeutend, weil das bisherige Ergebnis, das gleich Null ist, nicht auf innereuropäische Meinungsverschiedenheiten oder auf Diskrepanzen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU beruht. Schuld ist die radikale Unfähigkeit des britischen Staates, mit sich selbst einig zu werden (...) Europa sollte Großbritannien nur dann mehr Zeit gewähren, wenn London Garantien dafür gibt, dass man eine solide und handfeste Position erreichen wird, sei es für einen weichen Brexit, für Neuwahlen oder ein zweites Referendum."

"Neue Zürcher Zeitung" (Zürich)

"May droht den parteieigenen Hardlinern klipp und klar, ein definitives Scheitern des Austrittsabkommens würde das Tor zu einer langen Verzögerung des Brexits öffnen - mit all den damit einhergehenden Unsicherheiten bis hin zu einer möglichen Annullierung. Damit setzt sie ihre Parteigenossen noch ein letztes Mal unter höchsten Druck: Stimmt für meinen Deal, oder übernehmt die Verantwortung vor euren Wählern, dass der Brexit möglicherweise komplett scheitert. (...)

Für die EU bedeutet der letzte Schachzug Mays eine große Unannehmlichkeit. Sie sieht sich der unverschämten Zumutung ausgesetzt, noch einmal bis zu einer Woche abwarten zu müssen, nur um dann innerhalb weniger Tage eine Verschiebung des Brexit-Termins durchpauken zu müssen, der alle Mitgliedsländer zustimmen müssten. Es ist nur zu verständlich, dass Brüssel am Mittwoch wenig Lust auf ein solches Manöver erkennen ließ. Aber die EU hat wohl keine andere Wahl."

"De Standaad" (Brüssel)

"Theresa May hat einen guten Grund für diese "ultimative" Abstimmung. Sie weiß, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs ihr keinen kurzen Aufschub gewähren werden, wenn sie dafür keinen triftigen Grund hat. Mit einer Billigung ihres Abkommens gäbe es den natürlich. Die dreimonatige Verzögerung würde dazu dienen, die gesamte Gesetzgebung durch das Parlament zu bringen. Bei einem Brexit am 29. März gelingt das nicht. Dafür ist die Zeit zu kurz. Aber wie kann sie ihr Parlament davon überzeugen, den "toten" Deal zum Leben zu erwecken? Zum Beispiel durch Erpressung. Sollte das Parlament doch stur bleibt, wird sie um einen langen Aufschub bitten, und dann wächst die Chance, dass der Brexit überhaupt nicht mehr stattfindet."

"Adevarul" (Bukarest)

"In den Archiven, die ihre Vorgänger hinterlassen haben, in den Lektionen, die Margaret Thatcher ihren geistigen Erben vermacht hat, fand Theresa May viele Belege für die Art, wie es der britischen Diplomatie jahrzehntelang gelungen ist, absolut alle ihre Wünsche gegenüber dem (kontinental)europäischen Block durchzusetzen. Sie hat dabei stets, in einer zur Perfektion gereiften Strategie, auf die Unentschlossenheit und mangelnde Einigkeit der Partner auf dem Kontinent gesetzt.

Sie (die britische Diplomatie) hat dabei die interessanteste aller Methoden gelernt: das unendliche Verhandeln, Detail für Detail, danach über die Details der Details, die abermals von Parlamentskommissionen in Frage gestellt wurden. Womit man dann wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrte, zur Verzweiflung der europäischen Gesprächspartner, die schlussendlich mit dem Rücken zur Wand ihnen blindlings auf den Leim gingen und gar nicht merkten, dass sich die Frist näherte, nach der sie selbst für alles verwantwortlich gemacht werden. (...) Die britischen Konservativen haben ihr Land ins Chaos geschickt. Folgt etwa Europa auf diesem Weg?"

"Times" (London)

"Nach einer außerordentlich turbulenten Woche in der britischen Politik ist zumindest eines klar: Großbritannien wird die Europäische Union nicht am 29. März verlassen. (...) Wie lange der Aufschub dauert und wie diese Extrazeit genutzt werden sollte, bleibt - wie alles andere beim Brexit - eine offene Frage. Auf dem Tisch liegen immer noch dieselben möglichen Ergebnisse. Mag das Parlament es in dieser Woche auch abgelehnt haben, die EU auf der Grundlage des Deals der Premierministerin zu verlassen, ohne Deal auszutreten oder ein zweites Referendum oder eine Serie weiterer Testabstimmungen für einen alternativen Deal abzuhalten. Am Ende wird es sich doch für eine dieser Optionen entscheiden müssen. Es hat sich lediglich Zeit gekauft, um zu einem Entschluss zu kommen."

"Dennik N" (Bratislava)

"(Premierministerin Theresa) May führt einen Zermürbungskrieg mit den Parlamentsabgeordneten. Sie hofft, dass diese früher aufgeben als sie selbst. Und dass irgendwann doch eine ausreichende Zahl von ihnen das Abstimmungsverhalten ändert und ihrer Vereinbarung mit der EU zustimmt. Denn das ist noch immer die einzige Vereinbarung, die es mit der EU gibt. (...)

So ein Zermürbungskrieg braucht jedoch Zeit. Die Frage lautet daher, ob May eine Chance hat, sich durchzusetzen, bevor diese Zeit abläuft. (...) Auch eine Verschiebung des Austrittsdatums muss May und uns nicht wirklich helfen. Wenn sie keinen Erfolg hat, kommt der Austritt ohne Einigung so oder so, ganz unabhängig davon, was den Parlamentariern gefällt oder nicht."

"Rzeczpospolita" (Warschau)

"Bisher schlägt Theresa Mays Strategie die ganze Zeit fehl. In Brüssel wächst die Entmutigung, denn die britische Premierministerin hat komplett ihre Glaubwürdigkeit verloren. Und selbst wenn sie kommende Woche einen Antrag auf Aufschub stellt, kann sie gar keine Garantien bezüglich der Auswirkungen dieser Entscheidung geben. In Brüssel spekuliert man, dass Angela Merkel eine Verlängerung der Verhandlungen befürwortet, etwas skeptischer ist Emmanuel Macron. Obwohl die Interessen der Mitgliedstaaten unterschiedlich sein mögen, so verhielten sie sich in Sachen Brexit bisher überraschend einmütig. (...) Doch auf dem Gipfel in Brüssel werden viele der Staatschefs auf konkrete Ansagen Mays bestehen."