Der schon Jahre andauernde Konflikt um die Macht in Venezuela hat sich seit Jahresbeginn wie im Zeitraffer-Tempo verschärft. Zwei Präsidenten, zwei Parlamente, hungernde und wütende Menschen. Das allein ist schon eine Mischung, die das Pulverfass Venezuela jederzeit zum Explodieren bringen könnte.

Hinzu kommt noch eine Internationalisierung des Konflikts, die dazu führt, dass um das südamerikanische Ölland ein Stellvertreterkonflikt zwischen den USA und der EU auf der einen und Russland und China auf der anderen Seite entbrannt ist. Und Oppositionsführer Juan Guaidó lässt in seinem Werben um Unterstützung für einen Machtwechsel nicht nach. In einem Gastbeitrag für die „New York Times“ schrieb Guaidó: „Es ist unsere Pflicht, Normalität wiederherzustellen - um das fortschrittliche und wohlhabende Land aufzubauen, von dem wir alle träumen.“ Dafür müsse Venezuela aber erst die „Freiheit zurückholen“. Die Zeit von Staatschef Nicolás Maduro laufe ab, schrieb Guaidó weiter. Dafür aber sei die Unterstützung von demokratiefreundlichen Regierungen, Institutionen und Einzelpersonen weltweit notwendig.

Auswege aus der Krise

Was könnten in den kommenden Tagen und Wochen mögliche Auswege aus der Krise sein:

Neuwahlen: Guaidó, die EU, dessen Parlament unterdessen Guaidó als Interimspräsidenten Venezuelas anerkennt, die USA und weite Teile Lateinamerikas fordern Neuwahlen. Staatschef Maduro lehnt diese jedoch rundweg ab, würden sie ja auch implizit bedeuten, dass die Wahl vom Mai 2018 tatsächlich nicht frei und fair war, wie die Opposition behauptet. Ihre aussichtsreichsten Kandidaten wurden damals von der Teilnahme ausgeschlossen. Der Präsident selbst will bis 2025 an der Macht bleiben. Für Neuwahlen braucht es eindeutig noch mehr Druck.

Verhandlungen: Mexiko und Uruguay haben sich als Vermittler in der Krise angeboten. Die Regierungen beider Staaten laden zu einem Treffen für den 7. Februar in Montevideo, um einen Dialog zwischen Regierung und Opposition in Venezuela anzustoßen. Maduro selbst hat zuletzt immer wieder die Hand ausgestreckt und sich verhandlungsbereit gezeigt. Allerdings ist wenig wahrscheinlich, dass die Opposition sich an den Verhandlungstisch setzt. Sie fühlt, dass sie nun erstmals das Heft in der Hand hält.

Militärische Intervention: Man hatte ja gehofft, dass man sich über ein solches Szenario in Lateinamerika nie mehr wieder würde Gedanken machen müssen. Aber es scheint, US-Präsident Donald Trump findet an der alten Monroe-Doktrin wieder Gefallen, laut derer die USA Lateinamerika als ihren „Hinterhof“ sehen, in dem sie ihre Interessen sichern und Regierungen kippen und installieren dürfen. Venezuela hat die weltweit höchsten Ölreserven und die USA machen keinen Hehl daraus, dass sie darauf gerne Zugriff hätten. Deshalb aber werden sie nicht gleich in Venezuela einmarschieren. So töricht ist nicht einmal Trump. Aber die Regierung in Washington ist dazu bereit, politisch, diplomatisch und geheimdienstlich alles zu tun, um ihren Mann Guaidó durchzusetzen.

Weitere Zuspitzung: Einstweilen sieht es so aus, als würde sich die Lage noch weiter zuspitzen. Für das Wochenende hat Guaidó wieder zu Massenprotesten aufgerufen. Die Maduro-Justiz zieht unterdessen die Daumenschrauben gegen den Politiker an und hat ihm die Ausreise verboten. Entscheidend wird sein, ob die Militärs und die Sicherheitskräfte das Regime weiter stützen. Guaidó appelliert ohne Unterlass an die Streitkräfte, „die Seiten zu wechseln und sich auf die Seite der Demokratie zu stellen“. Erst wenn das mächtige Militär Maduro die Loyalität aufkündigt, wird er fallen. Das Ende seiner Zeit aber ist eingeläutet, die Dynamik unumkehrbar. Dass Maduro sein Mandat zu Ende bringt, kann man ausschließen. Irgendwann wird er ins Exil gehen, gestürzt vom Volk oder seinen eigenen Leuten. Danach brauche Venezuela einen „Marshall-Plan“ zum Wiederaufbau, sagt der deutsche Sozialwissenschaftler Heinz Dieterich. „Es braucht einen Termin für Neuwahlen, eine Übergangsregierung und eine Art Marshall-Plan mit einem Volumen von 50 bis 60 Milliarden Dollar“, betont Dieterich. Man müsse Venezuela wieder aufbauen und umgehend Nahrungsmittel und Medikamente ins Land bringen.