EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich erwartungsgemäß gegen Neuverhandlungen des Brexit-Vertrags ausgesprochen. Vor dem Europaparlament sagte Juncker Mittwochnachmittag, die Gefahr für einen ungeordneten Austritt Großbritanniens sei weiter gestiegen. Die gestrige Abstimmung im britischen Parlament ändere aber nichts. Die EU müsse nun geeint bleiben.

"Es ist mehr als je zuvor wichtig, dass die EU geschlossen und geeint ist", sagte Juncker. Aber er sei gleichzeitig Optimist. "Und ich glaube an die demokratischen Institutionen. Deshalb glaube ich auch, dass wir mit Großbritannien ein Abkommen bekommen werden." Dazu werde Tag und Nacht weitergearbeitet.

Er habe zuletzt den Eindruck gehabt, dass beim Backstop versucht worden sei, dass 26 Staaten diese Vereinbarung aufgeben und Irland das dann in letzter Minute auch mache. "Aber das Ganze ist kein Spiel, das ist keine rein bilaterale Frage. Es geht im Kern darum, was es bedeutet, Mitglied der EU zu sein. Die irische Grenze ist eine europäische Grenze und eine Unionspriorität", betonte der Kommissionspräsident.

Juncker zeigte sich ernüchtert, dass nach den Abstimmungen die EU zwar wisse, was die Briten nicht wollten. "Aber noch immer nicht, was genau das Unterhaus eigentlich möchte." Das Konzept der Alternativvereinbarung sei nicht neu. Aber dies sei keine praktische Lösung. Jedenfalls werde die EU angesichts der gestiegenen Gefahr eines ungeordneten Austritts der Briten alles tun, um sich darauf vorzubereiten - "auf alle Szenarien, auch auf das Schlimmste".

EU-Chefverhandler Michel Barnier sagte, die britische Premierministerin habe tags zuvor erstmals für Neuverhandlungen plädiert. Noch vor Ende der Abstimmung im Parlament. "Sie hat sich von dem Abkommen, das sie selbst mit ausverhandelt hat, distanziert", kritisierte Barnier.

Irlands Premier gegen Neuverhandlungen

Mit ihrer Forderung nach Nachverhandlungen am Brexit-Abkommen haben sich die Briten auch beim Nachbarn Irland eine klare Absage eingehandelt. Der irische Ministerpräsident Leo Varadkar und Außenminister Simon Coveney reagierten am Mittwoch mit Unverständnis auf entsprechende Forderungen von Parlament und Regierung in Großbritannien.

Er sehe "keine Alternativen" zu der bereits zwischen London und Brüssel ausgehandelten Auffanglösung zu Nordirland, sagte Varadkar im Parlament in Dublin. Der Premierminister schloss sich der ablehnenden Reaktion der EU-Spitzen an. "Wir bieten keine Neuverhandlungen an", sagte Varadkar. "Es gibt keinen Anlass, einen Sondergipfel einzuberufen." In den Verhandlungen zwischen London und Brüssel seien bereits alle Optionen geprüft worden. Es gebe nur die Einigung, "die wir jetzt bereits haben".

Ähnlich äußerte sich Außenminister Coveney. Lösungen zur Regelung der Nordirland-Frage seien "in den letzten zwei Verhandlungsjahren endlos durchgesprochen worden", sagte der Minister. "Wir haben keine alternative Lösung gefunden."

Die Nordirland-Regelung ist das größte Hindernis für die Annahme des Austrittsabkommens im britischen Parlament. Die in dem Abkommen festgeschriebene Auffanglösung seht vor, dass das Vereinigte Königreich in einer Zollunion mit der EU verbliebe, sollte bis zum Ablauf einer Übergangsfrist Ende 2020 keine bessere Lösung gefunden werden.

Damit will die EU verhindern, dass durch den britischen EU-Austritt eine harte Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und der Republik Irland entsteht. In Großbritannien stößt die Auffangregelung aber auf Ablehnung, weil sie den dauerhaften Verbleib des Landes in der Zollunion bewirken könnte. Eine solche Festlegung wollen die Kritiker in Großbritannien auf jeden Fall vermeiden.

May liebäugelt mit einseitigem Kündigungsrecht

Die britische Premierministerin Theresa May will unter anderem ein einseitiges Kündigungsrecht für die sogenannte Backstop-Regelung im Brexit-Abkommen mit der EU vorschlagen. Das sagte die Regierungschefin am Mittwoch im Parlament.

Die Abgeordneten hatten am Tag zuvor mehrheitlich gefordert, das Austrittsabkommen wieder aufzuschnüren und die Garantie für eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland durch "alternative Regelungen" zu ersetzen. Brüssel lehnt das kategorisch ab.

Kritik aus Irland

Auch Irlands Außenminister Simon Coveney sieht keine Alternative zu der im Brexit-Abkommen vereinbarten Notfalllösung für Irland. Bei den zweijährigen Verhandlungen habe man nach anderen Wegen gesucht, um eine harte Grenze auf der Insel zu vermeiden, sagt Coveney am Mittwoch im Staatsrundfunk RTE. Es sei keiner gefunden worden, der funktioniere. "Und jetzt haben wir eine britische Premierministerin, die wieder für die gleichen Dinge wirbt, die wir geprüft haben."

EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans forderte die britische Regierung nach der Brexit-Abstimmung im Londoner Parlament dazu auf, die Position zu klären. "Wir drängen das Vereinigte Königreich nach wie vor dazu, seine Absichten mit Blick auf die nächsten Schritte zu verdeutlichen", sagte er in Brüssel.

Noch am Mittwoch wollte sich May mit Oppositionschef Jeremy Corbyn von der Labour-Partei treffen, um über den weiteren Brexit-Kurs zu entscheiden. Auch Telefongespräche mit EU-Ratspräsident Donald Tusk und dem irischen Premierminister Leo Varadkar waren geplant.