Einmal noch blitzte der frühere scharfhumorige Horst Seehofer durch die müde Fassade des scheidenden Politgranden. Es ging auf den letzten Applaus für den 69-Jährigen als CSU-Vorsitzenden zu, als er in seiner Abschiedsrede sein Horoskop aus dem „Donaukurier“ zitierte. „Dort steht für den Krebs: Sie verlieren nicht das Gesicht, wenn Sie eine Entscheidung revidieren“, las der ehemalige Ministerpräsident Bayerns und Noch-Innenminister Deutschlands vor. In der Olympiahalle München begann ein Raunen. Das ewige Stehaufmännchen der bayerischen Politik wird doch nicht ...
Seehofer genoss sichtlich die fragenden Gesichter der Delegierten. „Vor 15, sogar noch vor zehn Jahren hätte ich das als Auftrag verstanden, heute fehlt mir die Risikobereitschaft“, fügte er nach einer Pause mit einem breiten Grinsen an. Kurz darauf spendeten ihm seine Christsozialen minutenlangen stehenden Applaus – es blieb unklar, ob mehr aus Erleichterung oder ehrlicher Anerkennung für sein Lebenswerk.
Der verhängnisvolle 4. September 2015
Der Rückzug Seehofers von der Parteispitze ist zwar freiwillig, aber eben auch unter dem stärker werdenden Druck der Parteispitze geschehen. Soviel der Ingolstädter für die CSU getan hat, so sehr wurde er als Hemmschuh gesehen. Der Verlust der absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl 2008 begründete seinen Aufstieg. Er führte die Partei wieder über diese magische Marke und machte sich damit selbst zur Parteiikone. Bis zu jenem verhängnisvollen 4. September 2015, als Kanzlerin Angela Merkel ihn am Siedepunkt der Flüchtlingskrise nicht per SMS erreichen konnte und am Ende allein entschied, die Grenze in Abstimmung mit Werner Faymann in Wien für die Menschen, die in Budapest festhingen, unbürokratisch zu öffnen. Es wurde zur ewigen Fehde zwischen ihm und der Chefin der Schwesterpartei CDU.
Nach dem desolaten Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017 musste er für Markus Söder in der Staatskanzlei in München als Ministerpräsident weichen. Nach der krachenden Niederlage im Oktober 2018 bei der Landtagswahl war er dann Parteichef auf Abruf. Nun, nach genau zehn Jahren und drei Monaten, übergab er ganz an Söder, den er als Nachfolger so leidenschaftlich hatte verhindern wollen.
Ihr ewiges gegenseitiges Frotzeln pflegten sie selbst an diesem Tag, den ein CSU-Delegierter in der Halle als Ende einer Ära bezeichnete. Schon bei der Prognose für den Ausgang der Söder-Kür – die keinen Gegenkandidaten vorsah – sagte ein CSU-Bundestagsabgeordneter hinter vorgehaltener Hand: „100 Prozent werden es definitiv nicht, denn Seehofer wählt ja mit.“ Am Ende musste sich der neue Parteichef mit 87,4 Prozent begnügen. Das ist deutlich weniger als Seehofer bei seinem Amtsantritt 2008, aber immerhin mehr als 2017 bei dessen schlechtestem Wahlgang mit 83,7 Prozent.
Gegenseitige Sticheleien
Und so preschte der neue Parteichef in München vor, schlug seinen Rivalen als Ehrenvorsitzenden vor und sagte nach dessen nahezu einstimmiger Wahl in Anspielung auf die Andeutung in der Abschiedsrede provozierend: „Wer Ehrenvorsitzender ist, kann nicht mehr kandidieren.“ Doch Seehofer spottete zurück: „Das lassen wir mal so stehen. Ich dachte, man kann erst Ehrenvorsitzender werden, wenn man eine gewisse Bewährungszeit als Vorsitzender außer Dienst hat.“
Auch Seehofer hatte eine Spitze für seinen Nachfolger in seiner Rede parat: „Am schwierigsten dürfte für dich sein, lieber Markus, dass du dich jetzt nur noch mit dir selbst koordinieren musst“, sagte er süffisant, nachdem er den Nürnberger zum Parteivorsitzenden vorgeschlagen hatte. „Es ist manchmal nicht ganz leicht, diese Gespräche mit sich selbst zu führen.“ Und er gab ihm einen wichtigen Ratschlag mit: „Verachtet mir die kleinen Leute nicht! Das ist mein einziger Wunsch für die Zukunft der CSU.“
Denn das dürfte eines der größten Hinterlassenschaften von Seehofer für seine Partei sein. Lange trug er die Bezeichnung „Herz-Jesu-Sozialist“ in der CSU. Er stand für den rheinischen Kapitalismus mit einem Ausgleich von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und verachtete die Neoliberalen in der Union. Norbert Blüm, der für den sozialkatholischen Flügel der CDU stand, wurde sein Förderer. Auf seinen Touren durch Bayern Nähe zu seinen Landeskindern herzustellen, war einer seiner großen Erfolgsanteile.
Seehofers Methode hat sich überlebt
Doch Seehofer stand auch für ein Politikmodell, das in Deutschland nahezu ausgestorben ist: in Hinterzimmern Lösungen auszuklüngeln, verdiente Wegbegleiter mit weichen Posten auszustatten und Entscheidungen in Landesvatermanier durchzupauken. Bei Merkel prallte er mit seiner Methode immer wieder ab. Doch auch die Kanzlerin ist bald Geschichte. Immerhin will Seehofer so lange in Berlin im Amt bleiben, bis sie auch geht. Er will nicht zur Garde der von ihr gestürzten Männer gehören.
In der Union haben jetzt Söder und Annegret Kramp-Karrenbauer das Sagen. Der neue Umgang wurde sofort spürbar, als die neue CDU-Chefin die Bühne betrat. Sie und Söder spaßten. Nur kurz stand das Bild im Raum, das für das angeschlagene Verhältnis der Schwesterparteien steht: der Moment, als Seehofer Merkel auf dem CSU-Parteitag wie ein Schulmädchen neben sich stehen ließ. Kramp-Karrenbauer kennt das Bild, Söder auch. Am Ende steht er mit Blumen neben ihr und sagt: „Zwei Fehler von früher wollen wir nicht mehr machen, sorry, Horst, zu lange reden und keine Blumen haben.“
Ingo Hasewend aus München