Im Mittelpunkt der Gespräche des Schweizer Bundespräsidenten Ueli Maurer mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in Wien werden die ungewissen weiteren Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU stehen.
Bern und Brüssel haben sich im Vorjahr auf ein neues Rahmenabkommen geeinigt, doch trifft dieses in der Schweiz auf massiven innenpolitischen Widerstand. Maurer hat sich erst in der Vorwoche für Nachverhandlungen ausgesprochen, wovon die EU aber ähnlich wie beim Brexit nichts wissen will.
Der Schweizer Bundespräsident Ueli Maurer verwies am Freitag bei einem Auftritt mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen in Wien darauf, dass heuer sowohl in der EU als auch in der Schweiz gewählt wird, und bat Brüssel noch etwas um Geduld.
"Wahrscheinlich ergibt sich das fast aus den Abläufen, die vorhanden sind", sagte Maurer auf die Frage, ob man die Einigung nicht auf 2020 verschieben sollte. Schließlich finde in der Schweiz noch bis zur Jahresmitte eine Konsultation über den Vertragsentwurf statt. "Wenn man die Geduld hat, das auch nach den Wahlen mit neuen Leuten anzuschauen, wäre das vielleicht keine schlechte Lösung, weil nach unserem Verständnis entsteht unter Druck nie etwas Gutes, weil wir eben länger brauchen", sagte Maurer mit Blick auf das Ultimatum der EU-Kommission. Er bat diesbezüglich um Verständnis für das Schweizer Entscheidungssystem, das er mit dem Bild von wiederkäuenden Kühen veranschaulichte. "Wir haben die Geduld von Brüssel sehr strapaziert", räumte er ein.
Die EU-Kommission hat der Schweiz Mitte Dezember ein Ultimatum bis Mitte 2019 gestellt und Nachverhandlungen über den Entwurf des Abkommens ausgeschlossen. Maurer wollte das Wort Nachverhandlungen nicht verwenden, äußerte aber die Erwartung, dass in der nun laufenden Konsultation mit den politischen Akteuren "sehr viele Fragen auftauchen werden". "Wir werden diese Vorbehalte wohl mit Brüssel besprechen müssen", sagte der Politiker der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Denn: "Das Ergebnis, wie es zurzeit vorliegt, ist kaum mehrheitsfähig."
Take it or leave it
Wenn der Entwurf als "Take-it-or-leave-it"-Deal angesehen werde, sei die Gefahr sehr groß, dass in den Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU "Geschirr zerschlagen" werde, mahnte Maurer. Die mit dem EU-Ultimatum verbundene Drohung, der Schweizer Börse die Anerkennung als gleichwertig zu verweigern, wies der Berner Finanzminister scharf zurück. Sollte die Börse nicht als gleichwertig anerkannt werden, gebe es die Gefahr, "dass wir in einen Wirtschaftskrieg gehen. In solche Sackgassen sollten wir versuchen, nicht zu geraten." Maurer kritisierte auch, dass es derzeit keine Kontakte mit Brüssel auf persönlicher Ebene gebe.
Van der Bellen bekräftigte die Unterstützung Österreichs für das Abkommen, äußerte aber zugleich Verständnis für Bern. "Ich plädiere dafür, ein bisschen Geduld zu haben", äußerte auch er die Erwartung, dass man "Anfang 2020" wieder über das Thema reden werde. Schließlich sei es "nicht wie der Brexit", wo man ohne Lösung vor dem Nichts stehe.
"Natürlich bedauere ich das", sagte Van der Bellen auf die Frage der APA, ob er die Entscheidung der Schweiz, kein EU-Mitglied zu werden, bedauere. Zugleich verwies er darauf, dass die beiden Länder in vielen Bereichen ähnliche Ansichten hätten, etwa auch in der Klimapolitik. Maurer sagte, dass ein Land wie die Schweiz, in dem drei Jahre lang über Fragen wie die Enthornung von Kühen diskutiert werde, keinen Platz im EU-Entscheidungssystem habe. "Wir würden nie in die EU passen", schloss der 68-Jährige einen EU-Beitritt der Schweiz zumindest zu seinen Lebzeiten aus. "Ich werde es nicht erleben."
Maurer und Van der Bellen hoben nach ihrem Treffen den großen Gleichklang zwischen den beiden Ländern hervor und verwiesen auf die am Freitag bekräftigte Tradition, wonach Spitzenpolitiker beider Länder ihren ersten Auslandsbesuch jeweils in dem Nachbarland absolvieren. Maurer hat heuer das Amt des Bundespräsidenten inne, das jährlich in der siebenköpfigen Schweizer Kollegialregierung (Bundesrat) rotiert.
Van der Bellen hob hervor, dass die Schweiz mit 65.000 Österreichern die zweitgrößte Gemeinde an Auslandsösterreicher beherberge, während fünf Millionen Schweizer Nächtigungen in Österreich verbucht werden. Sein Schweizer Kollege zeigte sich begeistert von der österreichischen Herzlichkeit und strich die gemeinsame Zugehörigkeit zum Alpenraum hervor. "In diesem Alpenraum ist die wirtschaftliche Kraft Europas entstanden", er sei auch heute "ein wichtiger Kern für Europa", so Maurer, der zugleich indirekt den Vorwurf des Isolationismus an die Adresse der Schweiz zurückweis. "Wir sind eines der europäischesten Länder", sagte er.
Van der Bellen hatte Maurer am späten Vormittag am Inneren Burghof mit militärischen Ehren empfangen. Zu Mittag traf Maurer auch mit Finanzminister Hartwig Löger in der Präsidentschaftskanzlei zusammen, für Nachmittag waren Gespräche mit Bundeskanzler Sebastian Kurz und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (alle drei ÖVP) angesetzt.