Was haben das Brexit-Chaos der Briten und die alpenländischen Höhen und Tiefen der Schweizer Innenpolitik miteinander gemein? Auf den ersten Blick wenig. Und doch fällt derzeit in Brüssel nach den schweren Seufzern rund um den Ja-, Nein-, oder Vielleicht-doch-Scheidungsprozess mit den Briten irgendwann auch ein grummeliges „und dann noch die Schweizer“. Heute kommt der neue Bundespräsident der Eidgenossen, Ueli Maurer, zu seinem Antrittsbesuch nach Wien, und es ist zu erwarten, dass das Gebrumme auch bei seinem Treffen mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Kanzler Sebastian Kurz zu vernehmen sein wird. Wie haben nun also die Schweizer den Unmut der EU-Partner auf sich gezogen?
Nicht nur die Briten, auch die Schweizer versuchen derzeit, ihr Verhältnis zur Europäischen Union neu zu regeln. Die Ausgangsposition ist unterschiedlich: Großbritannien will bekanntlich raus aus der EU. Die Schweizer möchten, wie bisher, Nicht-Mitglied bleiben, aber am EU-Binnenmarkt teilnehmen. Auf Drängen Brüssels sollen die bestehenden bilateralen Verträge durch ein neues „Institutionelles Rahmenabkommen“ aktualisiert werden.
Schon jetzt sind die Eidgenossen Teil des Schengenraumes und partizipieren am EU-Binnenmarkt. Dafür müssen sie den Zuzug von EU-Bürgern akzeptieren und, ohne Stimmrecht, Milliardenzahlungen ins EU-Budget leisten. Die Parallele zu den Briten: Wie in Großbritannien liegt mittlerweile ein gemeinsam ausgehandeltes Abkommen vor. Und doch findet sich nun innenpolitisch in der Schweiz keine Mehrheit, um dieses abzusegnen. Bundespräsident Maurer von der rechtskonservativen Schweizer Volkspartei (SVP) hat sich erst in der Vorwoche für Nachverhandlungen ausgesprochen.
Das wiederum kommt für Brüssel nicht in Frage. „Wir für unseren Teil haben die Verhandlungen abgeschlossen, es liegt ein gutes Papier auf dem Tisch“, erklärte EU-Kommissar Johannes Hahn erst kürzlich gegenüber Journalisten in Brüssel. Die Union habe sich bei den Verhandlungen bereits „gedehnt“. „Es liegt jetzt an den Schweizern, eine Meinungsbildung herbeizuführen.“ Brüssel hat Bern ein Ultimatum bis Juni gesetzt. Auch Sebastian Kurz hatte im November bei seinem Besuch in der Schweiz für das Abkommen geworben. Streitpunkte gibt es mehrere. Da geht es etwa um die „flankierenden Maßnahmen“ gegen Lohndumping, die die Schweizer Gewerkschaften für nicht verhandelbar halten. Brüssel will diese aber nur in abgeschwächter Form akzeptieren.
Zankapfel ist aber auch die Rolle des Europäischen Gerichtshofs. Die Schweiz soll sich verpflichten, neues Unionsrecht dynamisch zu übernehmen. Würden aber die Schweizer Stimmbürger anderes beschließen, soll der EuGH das letzte Wort haben – im Land der direkten Demokratie kaum akzeptabel. Auch die europäische Personenfreizügigkeit ist in der Schweiz nach dem Volksentscheid zur Begrenzung des Zugzugs problematisch.
Auch wenn der Brexit und das Schweizer Abkommen nicht miteinander verquickt sind, hat die mäßig flexible Haltung der EU atmosphärisch auch mit dem britischen Drama zu tun. Die Bereitschaft unter den Mitgliedsländern, Sonderwege, Sonderregelungen und Ausnahmebestimmungen zu gewähren, habe insgesamt abgenommen, räumt auch Hahn ein.