Mehr als 200 britische Parlamentarier haben in einem parteiübergreifenden Brief eindringlich an Premierministerin Theresa May appelliert, einen Brexit ohne Abkommen zu verhindern. Ein "No Deal" würde zu Arbeitsplatzverlusten führen, sagte am Montag die Tory-Abgeordnete Caroline Spelman in London. Die Unterzeichner fürchten vor allem um das verarbeitende Gewerbe in Großbritannien.
Die Politikerin initiierte den Brief mit einem Vertreter der oppositionellen Labour-Partei. Dem Unterhaus gehören 650 Abgeordnete an. Sie sollen nächste Woche - möglicherweise am 15. Jänner - über das Brexit-Abkommen abstimmen. Das meldete der Sender BBC am Montag unter Berufung auf Regierungskreise. Der Termin ist noch nicht bestätigt.
Votum kurzfristig verschoben
Die britische Premierministerin May hatte das Votum im Dezember kurzfristig verschoben, nachdem sich eine klare Abstimmungsniederlage für ihren Deal abgezeichnet hatte. Als neuen Termin hatte die Regierung die Woche ab dem 14. Jänner genannt.
Eine Mehrheit für den zwischen Premierministerin May und Brüssel ausgehandelten Deal ist aber immer noch nicht in Sicht. Weder in ihrer eigenen Konservativen Partei noch bei der nordirischen DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, gibt es Bewegung. Labour-Chef Jeremy Corbyn setzt auf eine Neuwahl.
Auf Ablehnung stößt vor allem die Notfallregelung, mit der eine feste Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden soll. Dieser sogenannte Backstop würde das Vereinigte Königreich Kritikern zufolge langfristig an die EU binden. Bisher hat die Regierung erklärt, dass Großbritannien die EU ohne einen Deal verlässt, wenn das Unterhaus nicht zustimmt.
"Wir haben noch eine Woche"
Brexit-Staatssekretär Kwasi Kwarteng zeigte sich aber am Montag in einem BBC-Interview zuversichtlich, dass das Austrittsabkommen verabschiedet wird. "Wir haben noch eine Woche... Die Situation ist im Fluss, ich denke, wir werden zu dem Punkt kommen, an dem wir die Abstimmung hoffentlich gewinnen können, gewinnen werden."
Gleichzeitig warnte Kwarteng vor den Unwägbarkeiten eines Neins zum Brexit-Abkommen. Auch May hatte am Sonntag gesagt, dass sich Großbritannien in einem solchen Fall auf "unbekanntes Terrain" begeben würde. Einer zweiten Volksabstimmung über den Verbleib in der EU erteilte die konservative Politikerin erneut eine Absage und erklärte, ein neues Votum sei vor dem geplanten Austrittsdatum am 29. März auch gar nicht machbar. Bei einem solchen Referendum hätten einer Umfrage zufolge derzeit die Brexit-Gegner die Oberhand.
Die EU-Kommission will trotz des Widerstands im britischen Parlament nicht am mühsam ausgehandelten Brexit-Vertrag rütteln. "Der auf dem Tisch liegende Vertrag ist der beste und der einzig mögliche", sagte ein Kommissionssprecher am Montag in Brüssel. Die übrigen 27 EU-Staats- und Regierungschefs hätten dem Abkommen bereits zugestimmt. Eine Wiederaufnahme der Verhandlungen sei ausgeschlossen. Gleichzeitig werde die Kommission die Notfallvorbereitungen für einen ungeregelten Ausstieg Großbritanniens aus der EU vorantreiben. Darüber hinaus werde Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker diese Woche mit der britischen Premierministerin Theresa May telefonieren.
Großbritannien will sich am 29. März von der Europäischen Union trennen. Im Fall eines ungeregelten Austritts droht ein Chaos in fast allen Lebensbereichen. Vor allem Unternehmen fürchten Einbußen.
So wird etwa im Fall eines "No Deal" für die Hafenstadt Dover und ihre Umgebung am Ärmelkanal ein monatelanges Verkehrschaos mit bis zu 50 Kilometer langen Staus erwartet. Denn notwendige Zollkontrollen werden einer Studie zufolge die Abläufe in der Grafschaft Kent fast zum Stillstand bringen. Bereits am Montag wurde mit Hilfe von 100 Lastkraftwagen in Dover geübt, wie Staus verringert werden können.
Ex-Außenminister Boris Johnson verspottete hingegen die seiner Ansicht nach "apokalyptischen Vorhersagen". Ein Austritt ohne Abkommen spiegle am besten das Ergebnis des Brexit-Referendums im Jahr 2016 wider, schrieb er in einem Beitrag für den "Telegraph".
Einige Branchen klagen bereits über Einbußen. Der britische Automarkt sei auch wegen der Brexit-Unsicherheiten eingebrochen, wie der Verband SMMT (Society of Motor Manufacturers and Traders) mitteilte. 2018 erwarben die Briten demnach sieben Prozent weniger Autos als im Jahr davor. Vorläufigen Zahlen zufolge wurden knapp 2,37 Millionen Pkw verkauft. Beim Rückgang spielten auch die geringere Nachfrage nach Dieselfahrzeugen und strengere Abgasauflagen eine Rolle.