Ein fauliger Kanalisationsgeruch erfüllte die Eingangshalle des rumänischen Parlaments in Bukarest. Nicht nur vor den Toren, sondern auch in den hohen Hallen des vom ehemaligen Diktator Nicolae Ceauescu errichteten „Haus des Volkes“ war am Tag des Misstrauensvotums Polizei aufmarschiert.

Das Parlament habe sich in einen „militarisierten Bunker“ verwandelt, rief Florin Roman von der oppositionellen PNL aufgebracht den Abgeordneten der regierenden Sozialisten der PSD zu: „Wollen Sie sich hinter der Gendarmerie verstecken? Warum hat die Polizei hier die kriminelle Mehrheit, statt die Straßen zu schützen?“

„Abtritt!“, forderten die Plakate, die die Abgeordneten der oppositionellen Antikorruptionspartei USR in die Höhe hielten. Doch Regierungschefin Viorica Dancila zeigte sich wenig beeindruckt. Da die Abgeordneten der Koalitionspartner PSD und ALDE sowie der sie unterstützenden Partei der ungarischen Minderheit UDMR an der Abstimmung nicht teilnahmen, hatte die 55-jährige Vertraute von PSD-Chef Liviu Dragnea keine Überraschung zu fürchten: Mit 163 Stimmen verfehlte die Opposition klar die erforderliche Mehrheit von 233 Stimmen.

Vor Übernahme des EU-Ratsvorsitzes

Doch zur Ruhe wird Rumänien zehn Tage vor der Übernahme des EU-Ratsvorsitzes trotz des Scheiterns des Misstrauensantrags kaum kommen. Angesichts der verstärkten Bemühungen der PSD, die missliebige Justiz an die Kandare zu nehmen, mehren sich nicht nur in Bukarest, sondern auch in Brüssel die Zweifel, ob das südosteuropäische EU-Mitglied der bevorstehenden Aufgabe gewachsen sein wird. „Diese Regierung drängt Rumänien aus der EU“, warnt deshalb auch der PNL-Abgeordnete Florin Citu.

Es sei „nicht hilfreich“, wenn eine Regierung die Präsidentschaft übernehme, die selbst „Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung mit Füßen tritt“, sagt der Vorsitzende der deutschen CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Daniel Caspary.

Tatsächlich könnte dem Karpatenstaat die halbjährlich rotierende Ratspräsidentschaft zu keinem schlechteren Moment zufallen. Seit der Machtübernahme der PSD nach der Parlamentswahl im Jahr 2016 wird das Land von dem Tauziehen um die Unabhängigkeit der Justiz, Kabinettsumbildungen, purzelnden Börsenkursen und den größten Protesten seit dem Sturz von Autokrat Ceausescu 1989 erschüttert.

Es ist der Versuch des allgewaltigen PSD-Chef Dragnea, sich selbst zu amnestieren, der dem Land die Dauerkrise beschert. Statt Europa hat der machtbewusste Strippenzieher nur das eigene Fell im Blick: Nicht zuletzt, um einer drohenden Haft zu entgehen, hält der wegen Amtsmissbrauch vorbestrafte Parteichef eisern an der Absicht fest, die Justiz unter die Kontrolle der ihm hörigen Regierung zu bringen.

Die Aufforderungen des Europarats, des Europaparlaments und der EU-Kommission, von dem Vorhaben einer Amnestie für wegen Korruption verurteilte Würdenträger abzusehen, stößt in Bukarest auf taube Ohren. Als „letzte Lösung“ für den von der Regierung ausgemachten Justizmissbrauch würden „Amnestie und Begnadigung“ erwogen, bekräftigt Justizminister Tudorel Toader – und kündigt Eilerlasse zur Änderung des Strafgesetzes an.

„Wir werden kritisiert, ohne es zu verdienen."

Dancila wirft Brüssel inzwischen gar vor, Rumänien zu diskriminieren, obwohl andere EU-Mitglieder „viel korrupter“ seien: „Wir werden kritisiert, ohne es zu verdienen. Wir werden bestraft, nur weil wir ein osteuropäisches Land sind.“

Fit für den Vorsitz wirkt Bukarest zwar keineswegs. Das Ausland habe von Rumänien immer wieder Dinge gefordert, die kein anderer Staat „je akzeptiert hätte“, wütet indes Dragnea. Als Urheber allen Übels hat er den Präsidenten Klaus Johannis ausgemacht, der der rumäniendeutschen Volksgruppe der Siebenbürger Sachsen angehört. Dass der oppositionsnahe Staatschef Zweifel an der Eignung Rumäniens für den EU-Vorsitz verbreite, sei „Landesverrat“, für den er angezeigt werden müsse, so Dragnea.

Tatsächlich hat sich der PSD-Chef die zunehmenden Zweifel an der Kapazität seiner ständig ausgetauschten Statthalter in erster Linie selbst eingebrockt. Seine Strohmänner und -frauen auf der Regierungsbank kommen und gehen: In weniger als zwei Jahren hat Dragnea bereits drei Regierungschefs und mehr als 70 Minister verschlissen.

Wegen den Austritten und Ausschlüssen parteiinterner Kritiker hat die PSD mittlerweile im Parlament die Mehrheit verloren: Nur die Unterstützung der ungarischen UDMR hält ihre Koalition mit der liberalen ALDE noch im Sattel. Unbedingt will Dragnea nun bis Mitte Jänner sein umstrittenes Begnadigungsvorhaben über die Bühne bringen: Die Selbstamnestie soll ihm den Weg für die Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 2019 ebnen.

Doch Johannis will den Sozialisten-Vormann bei der anvisierten Demontage der Gewaltenteilung und des Rechtsstaats nicht gewähren lassen. Um die von der PSD angekündigte Änderung des Straf- und Begnadigungsgesetz per Dringlichkeitsverordnung zu verhindern, hat der Staatschef nun die regelmäßige Teilnahme an den Kabinettssitzungen angekündigt.

Vor 29 Jahren hätten die Rumänen ihren Kampf für Freiheit und Demokratie „mit ihrem Leben verteidigt“, erinnert er an den blutigen Aufstand gegen Ceausescu. Auch wenn nun „von Dragnea geführte Kriminelle“ verzweifelt versuchten, eine Amnestie durchzusetzen, werde Rumänien „nicht in die Zeiten der dunklen Erinnerung des Parteistaats“ zurückfallen.

Aber vor allem die sich mehrende Kritik in den eigenen Reihen lässt es fraglich erscheinen, ob sich Dragnea und die von ihm ferngesteuerte Regierung bis zum Ende der Ratspräsidentschaft im Amt halten können. Nicht nur das angestrebte Amtsenthebungsverfahren gegen Johannis, sondern auch die Pläne einer „Giersteuer“ für die Banken stoßen bei ALDE und UDMR auf Unbehagen.

Zweifel an den Erfolgsaussichten einer Kandidatur Dragneas ließ selbst der sozialistische Ex-Präsident Ion Iliescu verlauten. Im Interview mit der französischen Zeitung „Le Figaro“ verwarf das Parteidenkmal die von Dragnea verbreitete Verschwörungsthese eines Parallelstaats, in dem die Geheimdienste und Justiz mit Hilfe des US-Investors George Soros missliebige Politiker mit Korruptionsklagen zu diskreditieren trachteten. Der 88-jährige Ex-Parteichef erklärte im von ihm dementierten, aber von der Zeitung mit der Veröffentlichung der Aufnahmen belegten Interview, dass die PSD über keinen geeigneten Kandidaten verfüge und besser ALDE-Chef Calin Popescu Tariceanu unterstützen solle – eine für seinen ehrgeizigen Diadochen Dragnea eher peinliche Empfehlung.