Bilder wie von einer Revolution: Oppositionsführer drangen Sonntagabend ins ungarische Staatsfernsehen ein und forderten lautstark, die Forderungen des "Volkes" vor laufenden Kameras zu verlesen.

"Sturz der Regierung"

Sicherheitskräfte hinderten sie daran, warfen zwei von ihnen gar gewaltsam aus dem Gebäude. Davor Demonstranten, die "Orbán, hau ab" skandierten und drohten, das Gebäude zu stürmen. Abgeordnete schliefen auf den Fluren des Gebäudes, wo sie noch gestern ausharrten. Für den Abend wurde dann eine weitere Demonstration angekündigt. Motto: "Dann klettern wir eben durch die Fenster." Der Chef der linken "Demokratischen Koalition", Ex-Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány, verkündete derweil, Ziel sei "der Sturz der Regierung".

© (c) APA/AFP/PETER KOHALMI



So ganz aber ist die Revolution noch nicht da. Für eine Explosion, die die Macht von Ministerpräsident Viktor Orbán erschüttern könnte, fehlte die entscheidende Zutat: Hunderttausende Menschen auf den Straßen. Dabei hatten alle Oppositionsparteien sowie Schüler, Studenten und Gewerkschaften zur Demonstration aufgerufen. Grund: das "Sklavengesetz", eine Gesetzesnovelle, die es Arbeitgebern gestattet, mehr Überstunden zu verlangen. Daraus kann für die Betroffenen eine Sechs-Tage-Woche zur Norm werden, in der sie aber auch mehr verdienen. Der Hintergrund: chronischer Arbeitskräftemangel.

Es ist nur eine von mehreren unbeliebten Maßnahmen der letzten Monate. Von einem Tag auf dem anderen strich die Regierung die populären Bausparsubventionen. Die Mittel werden umgeschichtet zum neuen Baukindergeld – wer keine Kinder hat, hat das Nachsehen. Zudem sollen bislang steuerfreie Gehaltsnebenleistungen nun besteuert werden. Das bedeutet spürbare Nachteile für fast jeden Arbeitnehmer – deren Löhne allerdings in den letzten zwei Jahren stark gestiegen waren.

© (c) APA/AFP/PETER KOHALMI



Der Groll über diese Gesetze, so kalkulierte man bei der Opposition, ist vielleicht der Stoff, aus dem man Revolutionen machen kann. Und so entschlossen sich die bei den letzten Parlamentswahlen hoffnungslos unterlegenen Oppositionsparteien zu einem sehr viel radikaleren Auftreten als in vergangenen Jahren. Im Parlament stürmten sie bei der Abstimmung am Mittwoch über das von ihnen sogenannte "Sklavengesetz" den Platz des Parlamentsvorsitzenden – auch sollten 3000 Änderungsanträge das Verfahren lähmen. Das Gesetz wurde dennoch durchgebracht. Am selben Abend begann eine Serie täglicher Demonstrationen, teilweise mit Straßenblockaden. Die Teilnehmerzahl hielt sich in Grenzen, aber es ging härter zu als sonst in Budapest: Demonstranten – meist Parteiaktivisten – bewarfen Polizisten mit Böllern und anderen Gegenständen.

Fünf Forderungen

Den bisherigen Höhepunkt sollte die Demonstration am Sonntag darstellen, zu der rund 10.000 Menschen kamen. Von dort zogen etwa 2000 Demonstranten, geführt von einigen Oppositionsabgeordneten, zum Gebäude des Staatsfernsehens. Dort verkündeten die Abgeordneten, dass sie kraft ihrer Abgeordnetenausweise hineingehen würden, um die Verlesung von fünf Forderungen zu verlangen: Rücknahme des "Sklavengesetzes", "unabhängige Gerichte", "weniger Überstunden für Polizisten" – wohl eine taktische Forderung, um die Männer in Uniform milde zu stimmen –, "unabhängige Staatsmedien" und Ungarns Beitritt zur geplanten EU-Staatsanwaltschaft.

Gestern Nachmittag wurden Abgeordnete zwar hereingelassen, durften aber nicht ins Studio. Im Gebäude kam es zu Rangeleien. Im Staats-TV wurde am Ende nichts davon gezeigt, was sich im eigenen Haus abspielte.