Der aufgebrachte Fernfahrer konnte nicht mehr an sich halten. „Wenn ihr kein Geld mehr habt und unser Land in Schwierigkeiten steckt, warum schickt ihr dann so viel Bares nach Syrien, Palästina und zur Hisbollah?“, gestikulierte er mit einer Zigarette in der Hand, während sich hinter ihm bis zum Horizont Busse und Lastwagen aneinanderreihten, die seit zehn Tagen bestreikt werden. „Wir haben die Revolution nicht gemacht, um dann in solcher Armut zu leben“, schimpfte der Mann. Zu Hunderten kursieren dieser Tage Videoclips im Internet, auf denen sich aufgebrachte Iraner Luft machen über Preisanstieg und Währungsverfall, Arbeitslosigkeit und Wassermangel, staatliches Missmanagement und Korruption, über Machtmissbrauch des Regimes und dessen kostspielige außenpolitische Abenteuer.
Demonstranten in den Städten
In allen größeren Städten gingen in den letzten Tagen Demonstranten auf die Straßen, auch wenn ihre Zahl bisher kleiner ist als bei den Unruhen zu Jahresbeginn. Irans Bürger sind die leeren Versprechen satt. Sie fürchten, dass ihr Leben durch die neuen amerikanischen Sanktionen noch mühsamer wird als bisher. Die heimische Währung ist faktisch zusammengebrochen, seit Anfang des Jahres verlor sie zwei Drittel ihres Wertes gegenüber dem Dollar. Am Abend gab Präsident Hassan Rohani im Staatsfernsehen ein 15-minütiges Interview, in dem er Washington vorwarf, einen psychologischen Krieg gegen das iranische Volk zu führen. Verhandlungen über ein neues Abkommen lehnte der iranische Regierungschef ab. Gespräche ohne Vorbedingungen, wie Trump erklärt habe, könne es schon deshalb nicht geben, solange die Sanktionen in Kraft seien. „Das macht keinen Sinn“, sagte Rohani. Dagegen räumte Außenminister Mohammed Dschawad Sarif ein, der Nation stünden schwierige Zeiten bevor. US-Präsident Trump ließ mitteilen, er sei nach wie vor offen für einen neuen umfassenden Vertrag, wenn dieser das gesamte Spektrum schädlicher Aktivitäten der Islamischen Republik zum Thema habe, wie das Raketenprogramm und die Unterstützung von Terroristen.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bekräftigte erneut, die Europäische Union bedaure das amerikanische Vorgehen zutiefst, und versprach, europäische Firmen bei ihren Geschäften zu schützen und die Finanzströme zum Iran offen zu halten. Brüssel wolle weiterhin iranisches Öl und Gas importieren. Ende August wollen die fünf verbliebenen Vertragsstaaten des „Umfassenden Gemeinsamen Aktionsplans“ (JCPOA), wie das Atomabkommen offiziell heißt, erneut mit Teheran zusammenkommen. Russland und China zeigen ebenfalls wenig Neigung, sich in das neue amerikanische Boykottregime einspannen zu lassen. China kündigte an, es werde weiterhin iranisches Öl importieren. Chinas „National Petroleum Corporation“ erklärte sich bereit, die Entwicklung des „South Pars“-Ölfeldes zu übernehmen, sollte der französische Total-Konzern aussteigen.
Martin Gehlen