Der Streit um den fortdauernden Freiheitsentzug für den US-Pastor Andrew Brunson in der Türkei droht sich zu einer schweren Krise mit den USA zu entwickeln. Die Regierung von US-Präsident Donald Trump verhängte Sanktionen gegen zwei türkische Minister und kündigte weitere Strafmaßnahmen an, sollte Brunson nicht unverzüglich freikommen. Gleichzeitig beschloss der US-Senat ein Gesetz, das die Auslieferung von F-35-Kampfjets an die Türkei stoppt. Das türkische Außenministerium drohte daraufhin mit Gegenmaßnahmen. Infolge des Konflikts geriet die türkische Lira erneut massiv unter Druck.


Türkische Medien nannten die Entscheidung Washingtons „skandalös“ und titelten: „USA erklären der Türkei den Krieg“. Die historisch beispiellosen Sanktionen gegen einen Nato-Verbündeten sind ein symbolischer Warnschuss, denn sie richten sich ausschließlich gegen den türkischen Justizminister Abdulhamit Gül und Innenminister Süleyman Soylu. „Beide haben führende Rollen bei der Inhaftierung und Festnahme von Pastor Brunson gespielt“, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Sarah Sanders.

Kein Einlenken

Durch die Sanktionen gemäß dem US-„Magnitsky-Gesetz“ werden Vermögen der Minister in den USA eingefroren, außerdem dürfen US-Bürger keine Geschäfte mit ihnen machen. Das US-Finanzministerium sprach von Sanktionen wegen „schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen“. US-Außenminister Mike Pompeo sagte, die türkische Regierung auch nach vielen Gesprächen nicht eingelenkt.
Andrew Brunson, der 50-jährige Leiter einer kleinen evangelikalen Gemeinde in der Ägäismetropole Izmir war seit fast 20 Monaten unter haarsträubenden Terrorvorwürfen inhaftiert. Vergangene Woche wandelte ein Gericht die U-Haft in Hausarrest um. Die Staatsanwaltschaft fordert bis zu 35 Jahre Gefängnis für Brunson, der die Vorwürfe bestreitet. US-Vizepräsident Mike Pence nannte den Geistlichen „ein Opfer religiöser Verfolgung“.

Gülen

Der türkische Präsident Erdogan hatte mehrfach deutlich gemacht, dass er Brunson als Geisel betrachte und gegen den in den USA lebenden Islamprediger Fethullah Gülen austauschen wolle. Nach Verhängung der Sanktionen erklärte Erdogan, sein Land werde solche Drohgebärden nicht akzeptieren. Er warf den USA eine „evangelistische, zionistische Mentalität“ vor. Außenminister Mevlüt Cavusoglu kündigte an, die Sanktionen würden „nicht unbeantwortet“ bleiben. Am Donnerstag verurteilten vier der fünf türkischen Parlamentsparteien die Sanktionen in einer gemeinsamen Erklärung.


Indes versuchten beide Seiten, die Krise zu lösen. Die Außenminister Cavusoglu und Pompeo wollen sich am Freitag und Samstag in Singapur am Rande des Asean-Regionalforums treffen. Washington übt seit einigen Monaten massiven Druck auf Ankara aus, vor allem nachdem große evangelikale US-Kirchen Brunsons Freilassung und ein Eingreifen der Politik forderten.


Der Pastor wurde zu einem ernsthaften Problem für die Beziehungen beider Länder, die wegen des Streits um den Kauf russischer S-400-Raketenabwehrsysteme durch Ankara und die amerikanische Unterstützung der syrisch-kurdischen YPG-Miliz ohnehin schwer belastet sind. Hinter den Kulissen wurde verhandelt.

Deal

Recherchen der Washington Post und der britischen Agentur Bloomberg ergaben, dass Erdogan und Trump am Rande des Nato-Gipfels in Brüssel im Juli offenbar einen „Deal“ abschlossen, demzufolge Brunson im Austausch gegen die in Israel verhaftete Türkin Ebru Özkan und den in New York wegen Bruchs der US-Iran-Sanktionen verurteilten ehemaligen Vizechef der staatlichen türkischen Halkbank, Hakan Atilla, freikommen sollte. Eine geplante Milliardenstrafe gegen die Halkbank solle mild ausfallen. Ebru Özkan kam am 16. Juli frei, nicht aber Pastor Brunson, der am 18. Juli in Hausarrest überführt wurde. Daraufhin tobte Trump und drohte der Türkei per Twitter mit „großen Sanktionen“. Wie Bloomberg berichtet, habe die Türkei plötzlich gefordert, dass die US-Justiz alle Ermittlungen gegen die Halkbank stoppe. Das habe Washington nicht akzeptiert.


Schon vor Verhängung der US-Sanktionen hatte deren Androhung die türkische Landeswährung Lira auf Rekordtiefstände geschickt. Jede weitere Verschärfung der Sanktionen könnte die angeschlagene Wirtschaft des Bündnispartners abstürzen oder dessen Bankensystem kollabieren lassen. „Der Preis dafür ist so hoch, dass die Türkei einen psychologischen Vorteil hat“, zitiert Bloomberg die Istanbuler Politik-Analystin Asli Aydintasbas. „Es ist, als hätte sie mehr Macht, obwohl es genau andersherum ist.“