Vor drei Wochen noch wurde Bundeskanzler Sebastian Kurz in Berlin von Innenminister Horst Seehofer als Weggefährte und Bündnisgenosse im Kampf gegen die illegale Migration willkommen geheißen. Der Kanzler beschwor bei einem anschließenden Pressetermin die "Achse der Willigen", die sich von Berlin über Wien nach Rom spannt.

Heute Mittag landet Seehofer in Wien – nicht zum Gegenbesuch, sondern zum Krisengespräch. Kurz und Innenminister Herbert Kickl werden den CSU-Chef in Anwesenheit von Fotografen und Kameraleuten herzlichst empfangen, hinter verschlossenen Türen wird die Atmosphäre wohl schlagartig kippen: Berlin und München sind wild entschlossen, Österreich einen Flüchtlingsdeal abzutrotzen, der die Rückübernahme eines Teils der illegal nach Deutschland eingereisten Migranten vorsieht. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat Mittwochabend im ZDF an seiner Entschlossenheit und jener der CSU keine Zweifel gelassen. Bayern wählt im Herbst, ein schärferes Regime an der Grenze zu Österreich ist eine wahltaktische Duftmarke, die in Bayern Eindruck machen könnte.

Aus deutscher Sicht lassen die Österreicher bei der Kontrolle ihrer Südgrenze sehr zu wünschen übrig. Nach Auskunft des Berliner Innenministeriums sind im ersten Halbjahr 18.000 in anderen Ländern bereits registrierte Flüchtlinge an deutschen Grenzen aufgegriffen worden, 2443 wurden in den ersten fünf Monaten nach Österreich zurückgeschickt. Das CDU-CSU-Konzept sieht vor, dass in Transitzentren unweit von Passau, vom Walserberg und von Kufstein jene Personen festgehalten werden, die bereits in einem anderen Land registriert worden sind. Die anderen Flüchtlinge sollen nach Österreich zurückgeschickt werden. Kurz und Kickl lehnen eine solche Vereinbarung "zulasten Österreichs" ab.

Asylzentren am Brenner und in Spielfeld

Wie es in der Frage weitergeht, ist völlig offen. In österreichischen Regierungskreisen versucht man zu beschwichtigen, die endgültige Vereinbarung aus Berlin liege noch nicht vor, die SPD hätte bekanntlich Vorbehalte angemeldet. Nach deutscher Ansicht sollte die Bundesregierung spiegelbildlich ein ähnliches Regime an der österreichischen Südgrenze ausrollen, also strenge Kontrollen sowie allenfalls eigene Asylzentren am Brenner und in Spielfeld. In Nord- wie auch in Südtirol will man von Grenzkontrollen am Brenner nichts wissen.

Die neue asylpolitische Gemengelage war gestern auch Gegenstand einer Dringlichen Anfrage der Liste Pilz an den Kanzler im Nationalrat. Von der Opposition wurde der ÖVP-Chef mit Häme überschüttet. "Sie wirken wie ein Jongleur, den das Glück verlassen hat, der den Zenit überschritten hat, der feststellt, dass die Teller, mit denen er jongliert hat, herunterkrachen", so Europasprecher Jörg Leichtfried (SPÖ). Peter Pilz warf Kurz vor, er betreibe einen "antieuropäischen Ratsvorsitz".