Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer haben sich auf einen Kompromiss im Asylstreit geeinigt und ein Auseinanderbrechen der Union vorerst verhindert. "Wir haben uns geeinigt", sagte Seehofer am Montagabend nach stundenlangen Verhandlungen in der CDU-Zentrale in Berlin.

Die Einigung sehe vor, dass die illegale Migration an der Grenze zu Österreich unterbunden werde. Merkel sagte, sie glaube, "dass wir heute nach hartem Ringen und schwierigen Tagen einen wirklich guten Kompromiss gefunden haben."

Seehofer kündigte an, er wolle nun doch Minister bleiben. "Diese klare Übereinkunft erlaubt mir, dass ich das Amt des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat weiterführe", sagte Seehofer. Noch am Sonntag hatte Seehofer bei einer Sitzung des CSU-Vorstands in München erklärt, er wolle von seinen Ämtern als Parteichef und Innenminister zurücktreten. Nach Gesprächen in der engsten Parteiführung, die ihn zum Weitermachen bewegen wollte, sagte er dann, er werde seine politische Zukunft von einem Einlenken der CDU abhängig machen. Nach der Rücktrittsankündigung von Seehofer stand die Zusammenarbeit der Union und die große Koalition auf dem Spiel.

In der am Montagabend geschlossenen Vereinbarung heißt es, CDU und CSU wollten für Asylbewerber, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, Transitzentren an der deutsch-österreichischen Grenze einrichten. Aus diesen Zentren sollen Asylbewerber direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden. In der Vereinbarung der Unionsparteien wird betont, bei der Zurückweisung "wollen wir nicht unabgestimmt handeln, sondern mit den betroffenen Ländern Verwaltungsabkommen abschließen oder das Benehmen herstellen".

CDU und CSU haben sich in ihrem erbitterten Asylstreit in Deutschland also vorläufig geeinigt, allerdings hängt der Kompromiss auch von dem Wohlwollen Österreichs ab, wie der letzte Punkt zeigt:

Der Koalitionspartner SPD hat die Einigung von CDU und CSU im deutschen Asylstreit begrüßt, dem Kompromiss aber noch nicht zugestimmt. Dieser sei zunächst nur andiskutiert worden, sagte die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles in der Nacht zum Dienstag nach einem Koalitionsausschuss von Union und SPD.

Es gebe noch zahlreiche Fragen, die die SPD mit ihren Fachleuten und den Gremien der Partei an diesem Dienstag erörtern wolle. Um 18.00 Uhr werde es dann im Kanzleramt einen weiteren Koalitionsausschuss geben.

Seit Wochen tobt der Streit

Die CDU und ihre bayerische Schwester CSU hatten seit Wochen darüber gestritten, ob bereits anderswo registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden sollen - Seehofer bestand darauf, Merkel wollte das nicht. Bei einem EU-Gipfel hatte Merkel eine Verschärfung der Asylpolitik der EU und die Aussicht auf bilaterale Abkommen ausgehandelt, aber der CSU reichte das nicht. Der 68-Jährige hatte seinen Rücktritt angekündigt, falls die CDU nicht einlenkt. In Bayern wird im Oktober der Landtag neu gewählt, der CSU droht der Verlust ihrer absoluten Mehrheit.

Nach der Einigung auf Transitzentren stellt sich nun die Frage, wie der Koalitionspartner SPD reagiert. Die Sozialdemokraten hatten sich bereits 2015 gegen solche Zentren gewehrt, wie sie CDU und CSU gefordert hatten. Nach dem Spitzentreffen der Union war am späten Abend eine Sitzung des Koalitionsausschusses mit der SPD in Berlin angesetzt.

Letzte Provokation

Kurz vor dem Spitzentreffen hatte Seehofer noch persönlich schwere Vorwürfe an Merkel gerichtet. "Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Er befinde sich in einer Situation, die für ihn "unvorstellbar" sei: "Die Person, der ich in den Sattel verholfen habe, wirft mich raus."

Es stand alles auf dem Spiel: Wäre die seit fast 70 Jahren bestehende Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU im Bundestag an dem Streit zerbrochen, hätte die Bundesregierung am Ende sein können. Ohne die Abgeordneten der CSU aus Bayern haben CDU und SPD keine Mehrheit im Bundestag.

Kritik aus der SPD

SPD-Chefin Andrea Nahles kritisierte am Montagabend in der ARD-Sendung "Brennpunkt" den Streit in der Union als verantwortungslos. Kurz vor dem Koalitionsgipfel erklärte sie aber auch: "Aber ich hab' die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben, dass das heute Abend auch zu einem guten Ende kommt - allerdings dann auch mit einem gemeinsamen Konsens von CDU/CSU und SPD."

Nach Angaben aus CSU-Kreisen hatte Seehofer am Samstag ein Kompromissangebot gemacht, dass Merkel aber abgelehnt hatte. Demnach schlug er vor, nicht alle Migranten zurückzuweisen, die bereits in anderen EU-Ländern registriert sind, sondern nur solche, bei denen das Asylverfahren bereits läuft. Ebenfalls war Seehofer demnach bereit, Migranten, die in Griechenland oder Spanien registriert wurden, nicht zurückzuweisen. Mit diesen beiden Ländern ist bilateral vereinbart, dass sie solche Flüchtlinge zurücknehmen.

Erste Kompromissbereitschaft

Kurz vor dem als letzte Einigungschance im Flüchtlingsstreit eingestuften erneuten Spitzentreffen hatten beide Schwesterparteien  Kompromissbereitschaft signalisiert. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte: "Wir sind zu Kompromissen bereit, das muss man ja auch sein in der Politik." Der CDU-Bundesvorstand erklärte: "Wir wünschen uns eine Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen." Das erste Treffen der gemeinsamen Unionsfraktion dauerte am Nachmittag zunächst nur 30 Minuten. Wenig Zeit, um ausführlich über den Konflikt zu sprechen. Seehofer war nicht einmal anwesend. Er sei mit dem Auto auf dem Weg zum Krisentreffen nach Berlin, hieß es aus Parteikreisen. Bereits in der Vorwoche nahm der CSU-Chef und Bundesinnenminister nicht an der gemeinsamen Fraktionssitzung von CDU und CSU im Bundestag teil. Merkel traf dort aber den CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Unterdessen nahm ein anderes hochrangiges Mitglied der CSU in Berlin Abstand zum Parteichef. Entwicklungshilfeminister Gerd Müller betonte, er sei klar gegen ein Ende der Fraktionsgemeinschaft. „Sollte CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer im Streit um einen Unterpunkt aus dem „Masterplan“ zurücktreten, wird das Amt nachbesetzt“, sagte Müller dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Niemand kann verantworten, diese Fraktionsgemeinschaft, die ein hoher Wert an sich ist, in Frage zu stellen“, sagte der CSU-Minister. Sollte die CDU/CSU-Fraktion nicht mehr gemeinsam tagen, gäbe es einen "riesengroßen Aufstand“.

Die Teams

CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel ging in das Treffen mit ihren Stellvertretern Julia Klöckner, Armin Laschet, Volker Bouffier, Ursula von der Leyen und Thomas Strobl sowie Unionsfraktionschef Volker Kauder und Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer.
In der CSU-Runde saßen neben Seehofer auch Ministerpräsident Söder, Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, Generalsekretär Markus Blume, der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer, Digital-Staatssekretärin Dorothee Bär und der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber.

Neue Frist: Geburtstag

Seehofer hatte nach einer stundenlangen Sitzung der CSU in München in der Nacht auf Montag zunächst seinen Rücktritt angeboten, ihn aber auf Drängen anderer CSU-Politiker zunächst wieder zurückgenommen. Er nannte eine neue Frist für eine mögliche Einigung mit der CDU bis zu seinem 69. Geburtstag am Mittwoch gesetzt. Mit seiner Rücktrittsankündigung habe Seehofer die Partei "sehr überrascht", sagte Söder. CSU-Vorstand und -Landesgruppe hätten ihn gebeten, dies zu überdenken und im Amt zu bleiben. Der frühere CSU-Chef Erwin Huber hält allerdings einen Rücktritt Seehofers nun für "unausweichlich", wie er dem Bayerischen Rundfunk sagte. "Das heißt, die CSU muss sich jetzt auf eine neue Konstellation und Spitze einstellen."
In der Sache gibt es vor dem Spitzengespräch allerdings keine Anzeichen für eine Annäherung. Der stellvertretende CDU-Chef Volker Bouffier sagte im Hessischen Rundfunk, die von der CSU geforderte Zurückweisung bestimmter Flüchtlinge sei "das falsche Signal, wenn Deutschland ohne Abstimmung mit der EU eigene Maßnahmen umsetzt". Bouffier lobte ausdrücklich die Ergebnisse des EU-Gipfels zur Asylfrage in der vergangenen Woche: "Jetzt haben sich die EU-Länder in die richtige Richtung bewegt."

Mehrheit über CSU verärgert

Laut einer Umfrage unterstützen nur eine Minderheit der Deutschen das Auftreten der CSU im Asylstreit. In dem am Montag veröffentlichten "Trendbarometer" der Fernsehsender RTL und NTV halten zwei Drittel der Befragten (67 Prozent) das Vorgehen der CSU und ihres Parteichefs für verantwortungslos. Zwei Drittel der Deutschen (69 Prozent) wollen wie Merkel eine europäische Lösung. Seehofer kann nicht einmal die Mehrheit der CSU-Anhänger überzeugen - jeweils knapp die Hälfte sind für Merkel (49 Prozent) und den Innenminister (48 Prozent). Alle anderen, bis auf die AfD, stützen mehrheitlich die Kanzlerin. Nur unter den AfD-Anhängern gibt es einen Mehrheit für Seehofers Forderung nach einer nationalen Lösung in der Flüchtlingspolitik (88 Prozent).

Kurz: "Migrationsdebatte massiv verändert"

Der Asylstreit zeigt nach Ansicht von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), dass sich die "Migrationsdebatte massiv verändert" hat. "Die Jahre des Schönredens und der Durchhalteparolen sind vorbei", sagt Kurz im Ö1-Morgenjournal. Es habe ein Umdenken in der EU stattgefunden, dass es eine Lösung auf die Migrationsfrage brauche, die eine andere sei als die Verteilungsdiskussion. "Diese Debatte findet gerade in ganz Europa statt, in Deutschland führt sie sogar zu Spannungen oder vielleicht sogar zu einer Regierungskrise", sagt Kurz. Vorwürfe, dass sich Kurz im innerdeutschen Asylstreit auf die Seite der CSU gestellt habe, wies der Bundeskanzler zurück.

Der ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, Othmar Karas, appellierte indessen angesichts des deutschen Asylstreits, innenpolitische Spielchen "auf dem Rücken" der EU zu unterlassen. "Die deutsche Situation zeigt uns ja deutlich, wohin es führen kann, wenn innerparteiliche Richtungskämpfe, wenn parteitaktische Machtspiele die Innenpolitik bestimmen", erläuterte Karas am Montag bei einer Pressekonferenz in Wien. "Die Europäische Union braucht eine handlungsfähige Republik Deutschland."