Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union leiten einen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik ein. Beim EU-Gipfel zeichneten sich am Donnerstag folgende Stoßrichtungen ab: Flüchtlinge sollen künftig im Mittelmeer abgefangen und in Anlandezentren nach Nordafrika zurückgebracht werden. Der Schutz der Außengrenzen wird verstärkt. 

Gipfelerklärung blockiert

Italien dürfte offenbar am Donnerstag eine Gipfelerklärung des Europäischen Rats der 28 Staats- und Regierungschefs blockiert haben. Der Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärte am Abend nach einer ersten Beratungsrunde zu Sicherheit und Verteidigung, Innovation, Erweiterung und EU-Budget, dass "ein Mitglied" die gesamten Gipfelerklärungen ablehne.

Aus diesem Grund wurde auch die Pressekonferenz von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Tusk, die für Donnerstagabend geplant war, abgesagt. Sie wird am Freitag nach Ende des EU-Gipfels stattfinden, erklärte der Sprecher. Den Namen des Mitgliedslandes, das blockierte, nannte er nicht.

Keine NGO-Schiffe vor der Küste

Ein Detail der Gipfelerklärung dürfte sein, dass die NGO-Schiffe von der libyschen Küste verbannt werden sollen. Ein entsprechender Vorschlag Maltas wurde in die Gipfelerklärung des EU-Gipfels aufgenommen, hieß es Donnerstagabend aus Ratskreisen. Die Bekämpfung der illegalen Migration und der Schlepperaktivitäten auf der zentralen Mittelmeerroute sollen intensiviert werden, heißt es in den entsprechenden Passagen der Schlusserklärung. Die EU werde ihre Unterstützung für die libysche Küstenwache verstärken. Ziel sind demnach freiwillige humanitäre Rückführungen.

EU-Hilfen für Flüchtlinge in Libyen

EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani hat EU-Hilfen in Höhe von sechs Milliarden Euro für den Grenzschutz und die Versorgung von Flüchtlingen in Libyen gefordert. Europa müsse dieselbe Summe wie für die Türkei und zur Schließung der Balkanroute aufwenden, forderte Tajani am Donnerstag nach einer Aussprache mit dem EU-Gipfel in Brüssel.

"Wir müssen zur Schließung des Libyen-Korridors dieselbe Lösung finden wie für den Türkei-Balkan-Korridor", sagte der aus Italien stammende EU-Parlamentschef. Dabei wurde Tajani vom australischen Fernsehen gefragt, ob Europa nunmehr das australische Modell zur Abschottung von Migranten kopieren werde. Das Problem sei die Achtung von Menschenrechten, sagte Tajani. Es sei aber besser, in Afrika mit Flüchtlingen zu arbeiten als auf dem Balkan.

Für Änderung der Dublin-Regeln

Tajani forderte außerdem eine Änderung der bestehenden Dublin-Regeln für die Asyl-Erstzuständigkeit in der EU. Diese seien "längst obsolet und nicht mehr zweckdienlich". Eine Aufteilung des EU-Asylpakets in mehrere Dossiers ohne Einigung auf die Dublin-Reform lehne das Europaparlament ab. Die EU müsse eine umfassende Antwort auf die Asylkrise geben.

Unterdessen hat Ungarns Regierungschef Viktor Orban zu Beginn des Gipfels seine strikte Linie gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in Europa bekräftigt. "Die Menschen verlangen zwei Dinge. Das erste ist: keine Migranten mehr, stoppt das. Das zweite ist: Bringt die zurück, die schon da sind", sagte Orban am Donnerstag vor dem EU-Gipfel in Brüssel.

"Um die europäische Demokratie wiederherzustellen, müssen wir in diese Richtung gehen. Ich hoffe, dass dies heute passieren wird."

Die europäische Asylpolitik ist eines der zentralen Themen des zweitägigen Gipfels der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ringt um eine Lösung, die die Koalitionskrise mit der CSU beilegen könnte. Innenminister Horst Seehofer will mit einseitigen Zurückweisungen registrierter Asylbewerber an der deutschen Grenze beginnen, falls Merkel keinen gleichwertigen europäischen Ansatz findet.

Orban weigert sich seit Jahren, eine Umverteilung von Asylwerbern in Europa zu akzeptieren. Unter anderem deshalb kommt die Reform des gemeinsamen Asylsystems nicht voran.