Ein Europa, das nützt und schützt – so lautete der von Ursula Plassnik kreierte Slogan, als Österreich 2006 den Vorsitz in der EU übernahm. Die damalige Außenministerin wollte den Österreichern mit dem Motto vermitteln, dass die EU abseits der alten Friedensidee für jeden einzelnen Bürger auch von Nutzen sein kann – siehe Überwindung der Binnengrenzen, Vereinheitlichung beim Roaming, Dienstleistungsfreiheit bis hin zum jährlichen Badesee-Ranking.

Unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise und nach dem Kontrollverlust an den Außen- und Binnengrenzen, hat die türkis-blaue Koalition den Fokus auf die Schutzfunktion der Union reduziert. Ob man den Slogan bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron abgekupfert („une Europe, qui protège“, ein Europa das schützt) oder Macron bei Plassnik Anleihen genommen hat, ist unklar.

Fakt ist, dass mittlerweile sogar Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel ein europäisches Asylsystem mit eigener Behörde verlangt. „Wenn es uns nicht gelingt, eine gemeinsame Antwort auf Fragen der illegalen Migration zu finden, dann werden die Grundfesten der Europäischen Union infrage geraten“, sagte die CDU-Chefin am Mittwoch bei der Klausur der EVP-Fraktion in München.

Auch Österreichs EU-Vorsitz, der am 1. Juli startet, wird von diesem allgegenwärtigen Thema beherrscht, wie im fast 70-seitigen EU-Vorsitzprogramm steht. Was Österreich realisieren will:

  • Außengrenzschutz. Im Zentrum steht der effektive Schutz der EU-Außengrenze. Konkret sollen das Frontex-Mandat adaptiert und die europäische Küstenwache und Grenzschutztruppe auf 10.000 Mann ausgeweitet werden. Österreich will, dass Frontex die Migranten bereits in Nordafrika abfängt. Auch eine österreichische Beteiligung ist vorstellbar. Kanzler Kurz kündigte gestern an, Österreich sei bereit, auch Polizisten nach Albanien zu schicken, sollten die Migrationsströme anwachsen.
  • Asylreform. Völlig festgefahren sind unter den EU-Staaten die Verhandlungen über die Reform des Asylwesens. Österreich wird das Thema notgedrungen aufnehmen. Streitpunkt ist die Frage, wie sich andere Länder gegenüber Staaten, die besonders von Flüchtlingsbewegungen betroffen sind wie Italien oder Griechenland, solidarisch erweisen.
  • Einreisessystem. Nicht-EU-Bürger sollen bei der Einreise registriert werden. Das EES-System (Exit-Entry-System) erfasst Reispassdaten, biometrische Daten, Fingerabdrücke, Gesichtsbilder. Illegale sollen so leichter aufgespürt werden können. Die Maßnahme wurde bereits beschlossen, unter österreichischem Vorsitz soll die Umsetzung erfolgen.
  • Schengen-Reform. Vorangetrieben werden soll auch die Vernetzung der Datenbanken. Das Schengen-Informationssystem ist heute Polizei-, Grenzschutz-, Asyl-, Zoll-, Justiz- und Fahrzeugbehörden zugänglich, begrenzt auch Europol, Eurojust, Frontex. Das Visa-Informationssystem ist Polizisten bisher nicht zugänglich, die Fingerabdruck-Datenbank für Asylbewerber (Eurodac) kann nur von Asylbehörden genutzt werden.
  • Watchlist. Bürger aus 62 Nicht-EU-Ländern können ohne Visum in die EU einreisen. Nach US-Vorbild sollen sich künftig alle vor der Einreise elektronisch registrieren lassen (ETIAS). Wer auf einer Watchlist für Gefährder aufscheint, darf künftig nicht mehr europäischen Boden betreten.
  • Entwicklungszusammenarbeit. Dass die Fluchtursachen zu bekämpfen sind, will man die Migration zum Erliegen bringen, liegt auf der Hand. Im österreichische EU-Programm findet sich zumindest ein Bekenntnis zu mehr Engagement.

Was andere Ländern wollen:

Das will Dänemark

Dänemark will abgewiesene Asylwerber an einem „nicht sonderlich attraktiven“ Ort in Europa, außerhalb Dänemarks unterbringen, sagt der liberalkonservative Regierungschef Lars Lökke Rasmussen. Ein Pilotprojekt soll es noch vor Jahresende geben. Die Pläne für ein solches Zentrum würden mit anderen Ländern, darunter auch Österreich, diskutiert und seien schon „relativ weit“.

„Es würde einen großen Unterschied machen, wenn man ein Lager einrichten könnte, das nicht in den attraktiven Asylländern liegt, sondern anderswo“, erklärte Rasmussen im dänischen Rundfunk. Wo das „anderswo“ liegt, sagte er nicht. Idealerweise müssten Asylanträge außerhalb Europas gestellt werden, was aber nur schwer zu realisieren sei.

Seit dem Amtsantritt des Kabinetts Rasmussens Ende 2016 gab es in Dänemark fast 70 Gesetzesverschärfungen allein im Asyl- und Ausländerbereich. Erst in der Vorwoche wurde ein Burka-Verbot beschlossen.

Das will die EU

In den Mitgliedsländern herrsche mittlerweile soweit Einigkeit, dass man um den massiven Schutz der Außengrenzen nicht herumkomme, sagte gestern Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Offen ist allerdings noch, mit welchen Mitteln man die Asylprobleme lösen könnte. Von einer Quotenlösung, die besonders von den Visegrad-Staaten blockiert worden war, scheint Brüssel mittlerweile abzukommen. Als sicher gilt der Ausbau und die Aufwertung der Grenzschutztruppe Frontex. Auch die Bemühungen, dem Flüchtlingsstrom schon vor Erreichen der Grenzen Einhalt zu gebieten, nehmen zu. Die Türkei etwa hat für die Aufnahme der Syrer schon drei Milliarden Euro aus Brüssel bekommen, drei weitere Milliarden sind auf dem Weg. Eigentlich hatte man vom nächsten Gipfel Ende Juni konkrete Lösungen erwartet, nun soll das Salzburger Treffen im September Fortschritte bringen.

Das will Bayern

Ab August sollen abgelehnte Asylwerber aus Bayern bei Bedarf mit bayerischen Charterflugzeugen in ihre Heimat abgeschoben werden. Der neue Asylplan hat eine deutlich restriktivere Zuwanderungspolitik zum Ziel. „Wir wollen zeigen, dass unser Rechtsstaat funktioniert und dadurch auch Vorbild in Deutschland sein kann“, sagt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Neben den Abschiebeflügen mit speziell geschulten Polizisten sieht das Konzept auch die Einrichtung sieben sogenannter Ankerzentren (Ankunft, Entscheidung und Rückführung) für Asylwerber allein in Bayern vor. Ziel ist es, Asylverfahren zu beschleunigen. In diesen Ankerzentren soll es keine Geldleistungen für Asylwerber mehr geben, sondern nur Sachleistungen. Außerdem sollen laut Söder mehr „Arbeitsgelegenheiten“ für Asylsuchende geschaffen werden. Beschlossen ist auch die Bayerische Grenzpolizei entlang der Grenze zu Tschechien und zu Österreich.

Das will Italien

Italiens neuer Ministerpräsident Giuseppe Conte kündigt eine harte Gangart gegen Ausländer an. „Wir werden dem Immigrations-Business ein Ende machen“, sagte der Jurist in seiner Regierungserklärung. Wer sich integriere und arbeiten wolle, sei willkommen: „Wir sind keine Rassisten.“ Flüchtlinge müssten gerechter auf die EU-Staaten verteilt, die Prozeduren zur Rückführung effektiver gestaltet werden. Er fordert eine Reform des Dubliner Abkommens mit der Umverteilung der Asylanträge auf alle EU-Länder. Italiens Innenminister Matteo Salvini will am Wochenende seinen tunesischen Amtskollegen treffen, um das Thema Migration zu besprechen. Damit reagierte Salvini auf den Unmut Tunesiens nach seinen Aussagen zu „tunesischen Kriminellen“, die in Italien eintreffen würden. Tunesien sei ein demokratisches Land ohne Krieg, doch die Hälfte der in Italien eingetroffenen Migranten komme aus Tunesien, sagte er.